Ein Portrait
Der alte Glaube für eine neue Zeit
»Dem aber, der weit über die Maßen mehr zu tun vermag, als wir bitten oder verstehen, gemäß der Kraft, die in uns wirkt, Ihm sei die Ehre in der Gemeinde in Christus Jesus, auf alle Geschlechter der Ewigkeit der Ewigkeiten! Amen.«
Vor Grundlegung der Welt hatte Gott in Seiner unendlichen Weisheit geplant, die Herrlichkeit Seiner Gnade in der Gemeinde darzustellen. Ja, die Gemeinschaft der Erwählten soll sich in Ortsgemeinden zusammenfinden, um hier Gott anzubeten und den Segen zu empfangen, den Er zu Seinem Ruhm und dem Wohl der Gläubigen bestimmt hat.
Warum ausgerechnet Gemeinden, die in vielerlei Hinsicht oft so schwach und unbedeutend erscheinen?
Weil Gott so umso mehr Seine Macht und Gnade demonstriert. Gott ruft Seine Kinder auf, Seinem Wort in der Gemeinde zu folgen.
Am 12. Juli 2009 schlossen sich darum einige von Gott begnadigte und geliebte Sünder zusammen, um im mittelhessischen Wetzlar die Evangelisch-Reformierte Baptistengemeinde zu
gründen. Seither erleben wir Zeiten großer Ermutigung, aber auch herausfordernde und schmerzhafte Phasen. Letztendlich dient aber beides zur Ehre und Verherrlichung Christi. Der Erfolg drängt uns zum demütigen Lob Gottes, und die Rückschläge und Schwierigkeiten führen uns unsere Abhängigkeit vom Herrn vor Augen. Christus sei die Herrlichkeit in der Gemeinde!
Seit 2015 hat uns Gott mit einem hübschen Gemeindegebäude beschenkt, in dem wir uns seither als Gemeinde versammeln und Ihm Gottesdienst feiern dürfen. Als einzelne Glieder durch Liebe untereinander verbunden, füllen wir diesen Raum mit Lob und Anbetung. Geleitet wird die Gemeinde dabei von den beiden Pastoren Nathanael Armisen und Robert Kunstmann, unterstützt von zwei Diakonen, Daniel Schneeberger und Samuel Schneeberger. Wir sind dankbar dafür, dass Nathanael Armisen der Gemeinde als vollzeitlicher Pastor dienen darf. Insbesondere die Missionsgesellschaft HeartCry hilft uns dabei, dies zu ermöglichen. So hat der Herr unsere beiden Unterhirten Christi dazu berufen, Seiner Gemeinde in Treue zu dienen, das Wort angemessen zu lehren und Gott in allem zu ehren. Wie sieht das nun in der ERB Wetzlar konkret aus?
1. GEMEINDEGEBET
Einmal in der Woche treffen wir uns mittwochabends als Gemeinde, um gemeinsam den Herrn anzubeten. Das ist die Herzkammer der Gemeinde. Unscheinbar und unspektakulär gehen wir vor Gott auf die Knie und schütten unser Herz vor Ihm aus. Wir sind ganz und gar von Ihm abhängig.
Darüber hinaus haben wir etwa ein- bis zweimal im Jahr besondere Fast- und Bettage, an denen wir oft wegen besonderer Herausforderungen vor den Herrn kommen. Als Gemeinde erheben wir so einmütig die Stimme zu Gott (Apg. 4,24) und erleben dabei immer wieder, wie Er »weit über die Maßen mehr zu tun vermag als wir bitten oder verstehen«. Er erhält und trägt Seine Gemeinde, ja Er segnet uns überreich.
2. GOTTES WORT GEPREDIGT
Am Tag des Herrn versammeln wir uns als Gemeinde morgens und abends zu zwei Gottesdiensten1, wie es in Psalm 92,2-3 heißt:
»Gut ist’s, dem HERRN zu danken, und Deinem Namen zu lobsingen, Du Höchster; am Morgen Deine Gnade zu verkünden und in den Nächten Deine Treue.«
Der Gottesdienst, den wir in der ERB Wetzlar feiern, ist schlicht und wenig »kreativ«, aber auf die direkte Begegnung mit dem lebendigen und dreieinigen Gott ausgerichtet. In den Gottesdienst gehören daher auch nur Dinge, die Gott in Seinem Wort geboten und so zum Segen bestimmt hat. Durch Schriftlesung und Predigt spricht der Herr zur Gemeinde, und durch Gebete und Lieder antwortet die Gemeinde dem Herrn. Da wir unseren Gesang – wie Johannes Calvin – als gemeinsam gesungene Gebete verstehen, singen wir am Ende der Lieder ein bekräftigendes »Amen«. Im Gottesdienst geht es nicht um die Verherrlichung oder Darstellung von Menschen, sondern es geht darum, dass wir gemeinsam hinzutreten zum Thron der Gnade in ehrfürchtiger Erwartung, dem Herrn zu begegnen und durch Christus gesegnet zu werden. Und genau dies dürfen wir auch auf wunderbare Weise immer wieder erleben: Gott ist herrlich gegenwärtig im Gottesdienst!
Ein weiteres zentrales Element des Gottesdienstes ist die fortlaufende Schriftauslegung in der Predigt. Dabei geht es nicht in erster Linie darum, in moralischer Härte Missstände anzumahnen, sondern in liebevoll einladender Weise Sünder zur Buße zu rufen. So verstand auch der württembergische Pietist und Erweckungsprediger Ludwig Hofacker seinen Verkündigungsdienst:
»Es erhellt dieses auch aus meiner Predigtweise, die wegen ihres erwecklichen Bußcharakters wohl nicht über zwei Jahre an einen Ort passt; denn auch das schärfste Anfassen werden die Leute nach und nach gewohnt und verderben sich zuletzt damit den Appetit, so dass sie endlich lauter Gewürz essen wollen.«
Bereits Johannes Calvin empfiehlt diese weise Ausgewogenheit für den Hirtendienst:
»Ein Pastor sollte zwei Stimmen haben: eine, um die Schafe zu sammeln, und eine andere, um die Wölfe und Diebe abzuwehren und zu vertreiben. Die Heilige Schrift gibt ihm die Mittel, beides zu tun; denn wer darin geübt ist, wird fähig sein, sowohl die zu leiten, die lernbereit sind, als auch die Feinde der Wahrheit zu widerlegen« (Kommentar zu Tit. 1,7-9).
Die Predigt, die die Gläubigen tröstend auferbaut und gleichzeitig von Sünde überführt und zurechtweist, ist das von Gott bestimmte Gnadenmittel, zu Seiner eigenen Verherrlichung, aber auch zur geistlichen Stärkung der Gemeinde, ja auch in unserer heutigen Zeit, »auf alle Geschlechter der Ewigkeit der Ewigkeiten!«
3. GEMEINDE GELEBT
Neben dem öffentlichen Gottesdienst am Tag des Herrn feiern die einzelnen Familien der Gemeinde zu Hause Familienandachten. Besonders die Ehemänner und Väter tragen dort die Verantwortung, ihre Frauen und Kinder täglich im Wort Gottes zu unterweisen. In den Familien wollen wir leben, was Gott uns geboten hat:
»Diese Worte, die Ich dir heute gebiete, sollst du auf dem Herzen tragen, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen und davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt oder auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du aufstehst; und du sollst sie zum Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen dir zum Erinnerungszeichen über den Augen sein; und du sollst sie auf die Pfosten deines Hauses und an deine Tore schreiben« (5.Mo. 6,6-9).
Zu unserer Gemeinde gehören viele Familien mit kleinen Kindern, die so von Kindesbeinen an tagtäglich zuhause in Gottes Wort unterwiesen werden. Um die wichtigsten biblischen Lehren zu verinnerlichen, lernen viele auch Bibelverse und einen Kinderkatechismus auswendig und, wenn sie älter sind, den Kleinen Katechismus.2 Zuhause in den Familien lernen die Kinder, Gott zu ehren und anzubeten, so dass sie am Sonntag auch in den Gottesdiensten mit dabei sind. Dort gibt es nur für die ganz kleinen Kinder eine Übertragung des Gottesdienstes in einen separaten Raum. Vor allen Dingen aber sollen die Kinder auch am Sonntag lernen, mit Freude zusammen mit der ganzen Familie im Gottesdienst Gott anzubeten.
Überhaupt wollen wir als Gemeinde auch Zeit miteinander verbringen. Wenn es möglich ist, versuchen wir wenigstens einmal im Monat am Sonntag gemeinsam Mittag zu essen. (Das war pandemiebedingt in den beiden letzten Jahren leider kaum möglich.) Außerdem laden wir uns gerne gegenseitig ein, besuchen einander und haben auch sonst einige informelle Mittel und Wege, wie wir einander in geschwisterlicher Liebe beistehen, einander helfen, in der Nachfolge ermutigen und im Glauben stärken.
4. GOTT LEBT IN DER ORTSGEMEINDE
Diese von Gott verordneten Gnadenmittel, samt Taufe und Abendmahl, gehören ausdrücklich in die Ortsgemeinde. Jesus spricht zwar von einer geistlichen Gabe der Ehelosigkeit, aber nicht von einer Gabe der Gemeindelosigkeit. Letzteres betrachten wir als eine sehr große Not in unserer Zeit. Wie viele Gläubige gehören keiner Ortsgemeinde an! Dabei fehlt es sowohl an biblisch geordneten Gemeinden als auch am nötigen geistlichen Verständnis, warum Christus in der Gemeinschaft der Heiligen verherrlicht werden will und in der Ortsgemeinde besonderen Segen wirkt. Nirgendwo wird Christus so verherrlicht, wie durch die liebevolle Einheit und Gemeinschaft von Glaubensgeschwistern.
Wir sind sehr unterschiedlich in unserer Gemeinde; es gibt viele verschiedene Nationalitäten, soziale Schichten; wir haben unterschiedliche Interessen, doch stehen wir in dem einen fest verbunden zusammen: im Bekenntnis zu Christus und Seinem Wort, der der Herr ist über alles. Ist nicht genau das eine Darstellung der wirksamen Kraft Christi in den Menschen, der allein herzlich vereinen kann, was keine andere Bindung schafft?
So haben wir als Gemeinde auch das große Anliegen, weitere biblisch geordnete Gemeinden zu gründen. Bisher durften wir dies einmal erleben, als Gott uns 2016 gebraucht hat, um die ERB Frankfurt zu gründen.
Als Gemeinde wollen wir aber auch auf anderen Wegen Menschen mit dem Evangelium erreichen, die den Herrn noch nicht kennen oder keine Möglichkeit haben, eine gesunde Ortsgemeinde zu besuchen. Darum laden wir die Predigten auf Sermonaudio und anderen Plattformen hoch. Außerdem veranstalten wir gewöhnlich ein bis zwei Konferenzen pro Jahr, die sich als große Ermutigung erwiesen haben und auch brüderliche Beziehungen schaffen zu anderen gleichgesinnten Christen in Deutschland und Europa.
Durch die Übersetzungen und Publikation einiger reformiert-baptistischer Schriften wollen wir auch Bücher bekannt machen, die uns selbst solch ein großer Segen waren, die biblischen Lehren zu erfassen und im Leben umzusetzen.
5. GLAUBENSBEKENNTNIS UND GEMEINDEORDNUNG
Wir sind überzeugt, dass Christus besonders da »die Ehre in der Gemeinde« empfängt, wo wir bereit sind, all unsere Pläne und Formen im Lichte der Bibel zu prüfen, und wenn wir uns Ihm in allem unterordnen. Als Gemeinde brauchen wir auch eine tragfähige innere Struktur, die meist nach außen hin unsichtbar ist, wie das Skelett im Körper, und doch eine überlebenswichtige Funktion hat.
Wir halten es für biblisch geboten, dass wir klar und offen darlegen, woran wir glauben, und den ein für alle Mal den Heiligen überlieferten Glauben bekennen und verteidigen. Dazu haben wir uns als Gemeinde vor allen Dingen auf das Baptistische Glaubensbekenntnis von 1689 verpflichtet. Darüber hinaus nutzen wir einen Katechismus, um in einfacher Weise die wichtigsten Lehren der Bibel zu verinnerlichen.3
Ebenso wichtig ist es, dass wir auch klar darlegen, wie wir als Gemeinde miteinander leben wollen. Mit Hilfe von bewährten Baptistengemeinden aus Nordirland und den USA konnten wir eine Gemeindeordnung verfassen, in der wir dies schriftlich festhalten. Dieses wertvolle Dokument ist gefüllt mit Querverweisen auf die Bibel als unsere höchste Richtschnur für Glauben und Leben.
Die Bekenntnisgrundlage und Gemeindeordnung der Gemeinde haben sich über die Jahre hin als ein reicher Segen erwiesen, den wir auf keinen Fall missen möchten. Wir haben so in den wichtigsten Lehrfragen Klarheit und müssen uns nicht aneinander reiben. Ebenso sind die zentralen Fragen, wie wir als Gemeinde bestimmte Dinge handhaben, klar geordnet (z. B.: Wie wird jemand Gemeindeglied? Oder: Wie handhaben wir öffentliche Sünde und Gemeindezucht?).
6. GLAUBENSKRAFT IN NEUER ZEIT
Wie passt es zusammen, dass eine solch junge Gemeinde – jung vom Alter der Gemeindeglieder, aber auch vom Gemeindealter her – so stark auf alte Glaubensinhalte und -formen zurückgreift? Auf der einen Seite wollen wir den Glauben nicht als eine bloß rückwärtsgewandte Tradition weiterleben, als lebten wir heute noch immer im 17. oder 18. Jahrhundert. Auf der anderen Seite dürfen die biblische Lehre und bewährte, geistliche Formen der Gottesverehrung auch nicht von unbiblischen Trends und Einflüssen des jeweils vorherrschenden Zeitgeists verdrängt oder sogar erdrückt werden.
Unser Anliegen ist es, in der Gegenwart die Vergangenheit mit der Zukunft zu verbinden. Wir leben altbewährtes, kraftvolles, ehrfürchtiges, biblisches Gemeindeleben auch in unserer Zeit authentisch und frisch, ja in gewisser Weise »modern« als Menschen des 21. Jahrhunderts, denn das alte Evangelium errettet auch bis heute jeden, der glaubt, »denn es ist Gottes Kraft zur Errettung« (Röm. 1,16). Dies charakterisiert uns als Evangelisch-Reformierte Baptistengemeinde in Wetzlar.
So wollen wir auch weiterhin mit den bewährten und kostbaren biblischen Lehren und vom Herrn bestimmten Mitteln die Menschen heute erreichen und die Herrlichkeit Christi verkünden.
Wir sind gespannt, was der Herr weiter in unserer Mitte wirkt zur Ehre Seines Namens und zum Segen Seiner Gemeinde in dieser Welt.
Herzliche Einladung auch an jeden, der uns gerne einmal besuchen möchte. Wir freuen uns über jeden Gast, der mit uns zusammen Gott preisen möchte!
1 In den Ferienzeiten findet zurzeit allerdings nur ein Gottesdienst statt.
2 Biblische Glaubenslehre für Kinder – Kinderkatechismus (Edition ERB / Betanien 2014/2018²);
Der Kleine Katechismus, Hg. Robert Kunstmann (Edition ERB / BoD, 2021).
3 Das baptistische Glaubensbekenntnis von 1689, Hg. Robert Kunstmann (Edition ERB / BoD, 2002/2020²). Der Kleine Katechismus, Hg. Robert Kunstmann (Edition ERB / BoD, 2021). Wir bekennen uns ferner zu einigen 1989 vorgenommenen Ergänzungen zum Bekenntnis von 1689, dem Apostolischen Glaubensbekenntnis und der Chicago Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel von 1978. In Abgrenzung zu der so genannten Pfingstbewegung schließen wir uns des Weiteren den Ausführungen der Berliner Erklärung von 1909 an.