Was können wir von den Puritanern lernen?

10 März, 2023

Kategorie: Erbauung

Was können wir von den Puritanern lernen?

Den Begriff Puritaner verwendet man gewöhnlich für die reformierten Theologen des 16.-18. Jahrhunderts. Sie waren Vertreter einer bibeltreuen Lehre und versuchten, praktische Frömmigkeit und deren Prinzipien in und später außerhalb der englischen Staatskirche umzusetzen. Ihr Wirkungsgebiet umfasste insbesondere Großbritannien und Gebiete Nordamerikas. Herausragende Vertreter der puritanischen Erweckungsbewegung waren u. a. Thomas Watson, Richard Baxter, Jonathan Edwards, Richard Sibbes, John Owen, Matthew Henry.

Meine erste Begegnung mit den Puritanern fand schon vor zwölf Jahren während eines Kurses am Seminar statt. Das dafür nötige Lesematerial bestand aus: John Bunyan, »Pilgerreise zur seligen Ewigkeit«, Jonathan Edwards, »Sind religiöse Gefühle zuverlässige Anzeichen für wahren Glauben?«, und Richard Baxter, »Das Predigeramt aus der Sicht eines Puritaners«. Ich werde wahrscheinlich nie wieder ein solches Aha-Erlebnis haben. Dies erfüllte mich mit großer Dankbarkeit, da dadurch mein Leben verändert wurde – theologisch, gemeindlich und geistlich. Seitdem habe ich die Gewohnheit entwickelt, regelmäßig die Puritaner zu lesen. Es gibt vier Gründe, warum ich immer wieder auf sie zurückgreife.

Sie waren gottesfürchtig

Um es an den Anfang zu stellen: Die Puritaner waren gottesfürchtig. Das heißt, sie glaubten an einen großen und herrlichen Gott. »Wenn Gott ein so großer Gott ist«, sagte George Swinnock, »wie sehr muss er dann verehrt werden! Kannst du Ihm zu viel dienen? Oder kannst du Ihm zu viel Ehre erweisen? Kann deine Liebe zu Ihm zu groß sein, oder kann deine Ehrfurcht vor Ihm zu groß sein? … Gott ist groß, und deswegen ist Er sehr zu fürchten.« 

Meine Frau und ich besichtigten vor einigen Jahren die Victoriafälle in Simbabwe. Wir trafen spontan die Entscheidung, Kajak zu fahren. Unser Führer organisierte für uns ein Frühstück am Ufer des Sambesi-Flusses. Es war einfach überwältigend. 

Dann erteilte er uns eine kurze Übungslektion, gefolgt von einer ernsten Warnung: »Das ist ein wilder Fluss. Ihr werdet keine Probleme mit den Krokodilen bekommen, solange ihr in eurem Kajak bleibt. Aber mit den Flusspferden sieht es ganz anders aus. Wenn sie sich von euch bedroht fühlen, dann greifen sie von unten an!« Dann nahm er einen Zweig, zerbrach ihn und rief (mit einem Zwinkern in den Augen) aus: »Genauso wird ein Flusspferd euer Kajak zerbersten lassen!« Ich wäre daraufhin fast noch ausgestiegen, aber der Gruppendruck war zu groß. Und so setzten wir unser Kajak-Abenteuer fort. Es war wunderbar, bis wir am Ende der Fahrt zu einer Engstelle des Flusses gelangten. Plötzlich tauchten vier Augenpaare an der Wasseroberfläche auf! 

Nach John Flavel war das, was ich in diesem Moment erfahren habe, die natürliche Angst bzw. Furcht. »Die Sorge oder Beunruhigung der Gedanken durch die Erkenntnis des sich nähernden Bösen oder der drohenden Gefahr.« Für Flavel ist dies ein wesentlicher Teil der menschlichen Natur. Wir fürchten, was uns bedroht, und in der Reaktion darauf meiden wir das, was wir fürchten. Er erklärt weiterhin, dass es zwei gegensätzliche Arten von Furcht gibt: heilige und sündhafte Furcht. Swinnock bezeichnet sie als kindlich und unterwürfig. William Gurnall beschreibt sie als heilig und sklavisch. Stephen Charnock nennt sie ehrerbietig und unfrei. Worüber reden diese Puritaner? Einfach gesagt: Sie bestätigen, dass es zwei unterschiedliche Arten von Gottesfurcht gibt: eine gute und eine schlechte. 

Ihre Unterscheidung ist biblisch. Dies ist zum Beispiel offensichtlich in 2. Mose 20. Die Israeliten sind am Berg Sinai versammelt. Sie sehen Feuer und Rauch und hören den Donner. Als Folge davon sind sie verängstigt. Aber Mose sagt zu ihnen: »Fürchtet euch nicht, denn Gott ist gekommen, um euch zu prüfen, und damit die Furcht vor Ihm euch vor Augen sei, damit ihr nicht sündigt!« (2.Mo. 20,20; Hervorhebung vom Autor). 

Die Unterscheidung ist ebenso deutlich in 1. Samuel 12. Die Israeliten haben gesündigt, indem sie nach einem menschlichen König verlangten. Sie sehen den Regen und hören den Donner. Dadurch »fürchtete das ganze Volk den HERRN und Samuel sehr« (1.Sam. 12,18). Aber Samuel sagt ihnen: »Fürchtet euch nicht! Ihr habt zwar all dieses Böse getan; doch weicht nicht von der Nachfolge des HERRN ab, sondern dient dem HERRN von ganzem Herzen!« (1.Sam. 12,20; Hervorhebung vom Autor). Etwas später fügt er hinzu: »So fürchtet nun den HERRN und dient Ihm in Wahrheit, mit eurem ganzen Herzen; denn seht, wie mächtig Er sich an euch erwiesen hat!« (1.Sam. 12,24; Hervorhebung vom Autor). Kurz gesagt, sowohl Mose als auch Samuel befehlen dem Volk, sich nicht vor Gott zu fürchten, und doch Gott zu fürchten. Wie erklären wir diesen offensichtlichen Widerspruch? »Merk dir«, sagt John Bunyan, »dass es sich hier um eine zweifache Furcht handelt: eine verbotene Furcht und eine empfohlene Furcht.« 

»Verbotene« Furcht tritt nach William Perkins dann auf, »wenn ein Mensch nur die Bestrafung fürchtet, aber nicht die Straftat gegen Gott, oder zumindest die Bestrafung mehr als die Straftat.« In den oben erwähnten Beispielen fürchteten die Israeliten Gott, weil sie Ihn als eine drohende Gefahr wahrnahmen. Anders ausgedrückt, sie sahen Ihn als gefährlich für ihr eigenes Wohlergehen an. Diese Art von Furcht ist nur auf Selbsterhaltung ausgerichtet; deswegen hinterlässt sie keinen bleibenden Eindruck auf die Seele. Gurnall erklärt: »Wir sehen oft, dass Gottes Gerichte eine so eindrückliche Wirkung auf die Seelen der Menschen haben, dass sie sich für kurze Zeit von ihren Sünden fernhalten; … aber sobald sie sehen, dass das schöne Wetter weitergeht und sich keine Wolken zu einem neuen Sturm sammeln, kehren sie zurück zu ihren alten bösen Taten und werden noch frecher und dreister als jemals zuvor.«  

Den gleichen Ton schlägt Stephen Charnock an, wenn er bemerkt: »Viele Menschen erfüllen die Pflichten, die das Gesetz von ihnen fordert, mit der gleichen Einstellung, mit der Sklaven ihre harte Arbeit tun; und nur Peitsche und Knüppel können sie zu ihrer Pflicht zwingen. Deswegen sind sie widerwillig und murren insgeheim, auch wenn sie äußerlich so erscheinen, als wären sie gehorsam. Sie wären auch zufrieden, wenn sie keinem Gesetz und Gebot mehr gehorchen müssten und wenn es keinen mehr geben würde, der über sie bestimmt.« Charnock führt weiter aus, dass die Menschen sich sogar die Vernichtung dessen wünschen, was sie als Schaden und Unheil fürchten. Die gottlose Furcht ist demzufolge gleichbedeutend mit dem Wunsch nach der Vernichtung Gottes. 

Wir finden in der ganzen Heiligen Schrift viele Beispiele für so eine Furcht. Einen solchen Fall gab es zur Zeit von Mose, als einige der ranghohen Ägypter Gott gefürchtet haben. Deswegen schafften sie ihre Knechte und ihr Vieh vom Feld weg, um die Zerstörung durch den Hagelsturm zu vermeiden (2.Mo. 9,20). Das war jedoch eine gottlose Furcht. Es ging ihnen nur darum, der erkannten Gefahr auszuweichen und sich vor jeder Bedrohung zu schützen. Später sagt Mose zum Pharao: »Ich weiß aber, dass ihr, du und deine Knechte, euch vor Gott, dem HERRN, noch nicht fürchtet« (2.Mo. 9,30). 

In einem anderen Beispiel lesen wir, wie die fremden Bewohner des Nordreichs Israels (sie waren von dem assyrischen König nach seinem Einmarsch dort angesiedelt worden) Gott fürchten (2.Kö. 17,25-41). Sie sehen Ihn als eine mögliche Quelle ihres Unheils an, weil Er Löwen unter sie gesandt hatte, um sie für ihren Götzendienst zu bestrafen. Sie beauftragen einen der Priester, sie im Gottesdienst zu unterweisen. Sie tun nun so, als ob sie den HERRN anbeten, bleiben aber gleichzeitig bei ihrem Götzendienst. Kurz gesagt, sie unternehmen Schritte, um die erkannte Gefahr zu minimieren, mit dem Ziel, ihr eigenes Wohlergehen zu sichern, während sie gleichzeitig hartnäckig an ihrer Sünde und Rebellion festhalten. Das ist gottlose (verbotene) Furcht. 

Im Gegensatz dazu steht die gebotene Furcht. Sie sieht Gott nicht als gefährlich, sondern als herrlich an. Mit anderen Worten, sie entspringt aus einer Wertschätzung Gottes. Nach William Gouge erwächst wahre Gottesfurcht »aus Glauben an die Gnade und Güte Gottes«. Wenn die Seele »einen lieblichen Geschmack von Gottes Güte« empfindet und herausfindet, »dass in Seiner Gunst und Gnade alle Glückseligkeit liegt, dann ist sie erfüllt von innerlicher Ehrfurcht und Ehrerbietung.« Dieser Sinn von »Ehrfurcht und Ehrerbietung« bringt die Seele dazu, das zu tun, was Gott gefällt, und das zu vermeiden, was Ihm missfällt. In einfachen Worten bedeutet dies, dass »gebotene« Furcht (im Gegensatz zu »verbotener« Furcht) eine Scheidung zwischen der Sünde und der Seele bewirkt. Wir werden dazu gebracht, der Heiligkeit nachzujagen. Wir werden dazu angetrieben, uns selbst ganz dem Willen Gottes auszuliefern. Das Ergebnis ist, dass wir uns »sorgfältig bemühen, Gott zu gefallen und Ihn zu erfreuen« und »sorgfältig die Dinge vermeiden, die die Majestät Gottes beleidigen.«  

Dieser Leitgedanke ist das Zentrum in der puritanischen Denkweise und steht an erster Stelle. Man findet ihn in allen ihren Schriften, von William Perkins angefangen, bis zu Jonathan Edwards. Sie sind sich überaus bewusst, dass sie einem großen Gott dienen – einem Gott, der es wert ist, gefürchtet zu werden. Wie auch Matthew Henry schreibt: »Von allen Dingen, die man wissen kann, ist dies das offensichtlichste: dass Gott gefürchtet werden muss, dass man Ihn verehrt, Ihm dient und Ihn anbetet; das ist so sehr der Anfang der Erkenntnis, dass diejenigen, die das nicht wissen, nichts wissen.«

Sie suchten den Himmel

Die Puritaner fürchten nicht nur Gott, sondern sie suchen auch den Himmel. Als Junge hörte ich, wie ein Prediger seine Gemeinde warnte: »Manche Leute sind zu himmlisch gesinnt, um noch von irdischem Nutzen zu sein.« Schon damals kam mir diese Aussage seltsam vor. Ist es wirklich möglich, zu himmlisch gesinnt zu sein? Für die Puritaner gäbe es nur eine Antwort: Sicher nicht! Sie betonen gerade das Gegenteil: »Manche Leute sind von keinem irdischen Nutzen, weil sie nicht genügend himmlisch gesinnt sind.« Ohne eine himmlische Gesinnung werden wir niemals inmitten von Anfechtungen standhaft bleiben, niemals mit Freude den Verlust von irdischem Besitz erdulden, niemals uns selbst dazu anhalten, in Gottseligkeit zu leben, niemals danach streben, der Sünde abzusterben. Zusammengefasst: Ohne himmlische Gesinnung werden wir niemals geistlich wachsen.

Aber was bedeutet eine himmlische Gesinnung überhaupt? Für die Puritaner ist sie ein geistlicher Vorgeschmack auf jene Freude, die uns bei der Verherrlichung erwartet. Robert Bolton bereitet seinen Lesern einen solchen Vorgeschmack, wenn er sie ermutigt, an Folgendes zu denken: an »den Ort, den Gott und alle Seine Gesegneten ewiglich bewohnen«, an »die Schönheit und Glückseligkeit der verherrlichten Leiber«, und an »das unaussprechliche Glück der Seele.« Der Apostel Paulus bestätigt die Richtigkeit dieser Herangehensweise, wenn er erklärt: »Denn ich bin überzeugt, dass die Leiden der jetzigen Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns geoffenbart werden soll« (Röm. 8,18). Er benutzt hier seinen logischen Scharfsinn, um einen Vergleich zwischen gegenwärtigem »Leiden« und zukünftiger »Herrlichkeit« anzuführen. Was ist seine Schlussfolgerung? Interessanterweise schließt er daraus nicht, dass die zukünftige Herrlichkeit nur ein bisschen größer sei als das gegenwärtige Leiden; auch schließt er daraus nicht, dass die zukünftige Herrlichkeit doppelt so groß sei wie das gegenwärtige Leiden; noch schließt er daraus, dass die zukünftige Herrlichkeit hundertmal oder tausendmal größer sei als das gegenwärtige Leiden. Seine Schlussfolgerung ist vielmehr, dass die zukünftige Herrlichkeit die gegenwärtigen Leiden so weit übertrifft, dass beide überhaupt nicht miteinander vergleichbar sind. 

Was ist diese Herrlichkeit? Paulus erklärt: »Denn die gespannte Erwartung der Schöpfung sehnt die Offenbarung der Söhne Gottes herbei.« (Röm. 8,19). »Denn wir wissen«, fährt er fort, »dass die ganze Schöpfung mitseufzt und mit in Wehen liegt bis jetzt« (Röm. 8,22). Die Seufzer, die hier mit der Geburt eines Kindes verbunden sind, zeigen den gegenwärtigen Schmerz und (zur gleichen Zeit) die Erwartung des Zukünftigen auf. Und so verhält es sich auch mit der Schöpfung. Paulus benutzt die Bildsprache der Geburt eines Kindes, weil auch das Seufzen der Schöpfung ihre Erwartungshaltung des Zukünftigen ausdrückt. Eines Tages wird eine neue Ordnung aufgerichtet – neue Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt (2.Pt. 3,13). Diese neue Ordnung steht in direktem Zusammenhang zu »der Offenbarung der Söhne Gottes«. 

Flavel erklärt, dass wir zu jener Zeit von sieben Ketten befreit sein werden. 

    1. Wir werden frei sein von »beschmutzender Verderbtheit«
      Die Schuld der Sünde ist vergeben durch die Rechtfertigung, und die Macht der Sünde ist zerbrochen durch die Heiligung; aber die Gegenwart der Sünde wird erst bei der Verherrlichung weggenommen. Zu jener Zeit werden die Begierden des Herzens und der Gedanken nicht mehr vorhanden sein. Wir werden in einen Zustand »vollkommener Reinheit« versetzt werden.
    2. Wir werden frei sein von »niederdrückenden Sorgen«
      Heute rufen wir wegen unserer Anfechtung aus, wie einst Naemi: »Nennt mich nicht Naemi [Meine Liebliche], sondern nennt mich Mara [Bitterkeit]« (Ruth 1,20). Aber es kommt der Tag, an dem wir von allen Leiden befreit sein werden. So erklärt es auch der Apostel Johannes: »Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, weder Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen« (Off. 21,4). Kurz gesagt, wir werden in einen Zustand der »vollkommenen Freude« versetzt werden.
    3. Wir werden frei sein von »Verführungen, die uns umstricken«
      Der Teufel ist unermüdlich in seinen Angriffen »gegen unsere Seelen«. In der Zukunft wird es jedoch anders sein: »Dann kann er die Seele mit keiner Verführung mehr antasten und genauso wenig Einfluss auf sie nehmen, wie wir mit Schneebällen die Sonne abwerfen können.« Wir werden in einen Zustand des »ewigen Friedens« versetzt werden.
    4. Wir werden frei sein von »quälenden Verfolgungen«
      »Wir müssen unsere Tage zubringen«, sagt Flavel, »in Unterdrückung durch die Bösen; und doch haben wir diesen Trost, zu wissen, dass wir eines Tages außerhalb ihrer Reichweite sein werden.« Zu jener Zeit werden wir in einen Zustand der »völligen und vollkommenen Ruhe« versetzt werden.
    5. Wir werden frei sein von uns »plagenden Bedürfnissen«
      Wir haben zeitliche Bedürfnisse. Wichtiger sind aber unsere geistlichen Bedürfnisse. Es mangelt uns an Glauben, Freude, Frieden, Liebe und Eifer. Dazu kommt, dass uns geistliche Pflichten schwerfallen. Diese Unzulänglichkeiten plagen uns. Aber bei der Verherrlichung wird jedes Bedürfnis gestillt. Wir werden in einen Zustand der »allumfassenden Zufriedenheit« versetzt werden.
    6. Wir werden frei sein von uns »ablenkenden Ängsten«
      An jenem Tag »wird kein Wind der Angst die Seele mehr beunruhigen noch stören, und es wird kein Sturm mehr über sie kommen.« Wir werden in einen Zustand der »höchsten Sicherheit und Ruhe« versetzt werden.
    7. Wir werden frei sein von »täuschenden Schatten«
      Das sind die betrügerischen Nichtigkeiten der Welt. »O Nichtigkeit der Nichtigkeiten!, spricht der Prediger; alles ist nichtig!« (Pred. 12,8). Diese täuschenden Schatten versuchen uns heute zu verführen. Allerdings werden sie eines Tages nur noch ein Schatten in der Erinnerung sein. Und wir werden in einen Zustand des »dauerhaft Guten« eintreten.

An jenem Tag wird Gott Sein Bild in uns völlig wiederherstellen. Unser Verstand wird Ihn als unser größtes Gut erkennen, und unsere Herzen werden Ihn lieben als unser größtes Gut. Er wird Seine Herrlichkeit in vollem Ausmaß in unserer Seele offenbaren, und wir werden gesättigt sein. Für die Puritaner führt die Betrachtung jenes Tages zu einem geistlichen Vorgeschmack jener Freude, die uns erwartet. Aus diesem Grund betonen sie immer wieder die Notwendigkeit einer himmlischen Gesinnung. So bemerkt Richard Baxter: »Meiner Ansicht nach musst du nicht alles andere Nachsinnen aufgeben; aber so sicher, wie der Himmel die Vorrangstellung in der Vollkommenheit hat, so sicher sollte er sie in unserem Nachsinnen haben. Was uns am meisten glücklich macht, wenn wir es besitzen, sollte uns am meisten erfreuen, wenn wir darüber nachsinnen.«

Sie hassen die Sünde

Die Puritaner fürchten nicht nur Gott und suchen den Himmel, sie hassen auch die Sünde. Sie gehen sogar so weit, dass sie große Anstrengungen auf sich nehmen, um die Widerwärtigkeit der Sünde aufzudecken. Warum? Sie wissen, dass wir die Sünde nur abtöten, wenn wir sie hassen. 

Bevor wir im Jahr 1999 für eine Reise nach Irland aufbrachen, stellte ich vorher pflichtbewusst den Strom in unserer Wohnung ab. Jedoch versäumte ich es, den Kühlschrank und die Gefriertruhe zu leeren. Zu jener Zeit lebten wir in Portugal. Und es war Juli – der heißeste Monat des Jahres. Als wir zwei Wochen später nach Hause zurückkehrten, ahnten wir noch nicht, was hinter der Tür auf uns lauerte. Als ich sie öffnete, war der Gestank des verwesenden Fleisches so übel, dass ich fast in die Knie gesunken wäre. Genau diese Empfindung der Widerwärtigkeit suchen die Puritaner zu kultivieren, indem sie ein dunkles Bild von der Sünde malen. 

An erster Stelle versuchen die Puritaner, einen Eindruck der Widerwärtigkeit der Sünde zu erwecken, indem sie aufzeigen, welche Wirkung die Sünde auf die Menschheit hat. Sie gehen ganz zurück bis zu Adams Sünde, die die Trennung von Gott verursachte. Dieser Verlust hatte eine negative Wirkung auf Adams Fähigkeiten: Sein Wille war nicht länger geleitet durch einen Verstand, der Gott erkennt, oder durch Gefühle, die nach Gott verlangen. Für die Puritaner ist dies das Wesen der Erbsünde. Swinnock erklärt: »Die Erbsünde hat den Verstand derart verdorben, dass er krumme Dinge für gerade hält und gerade Dinge für krumm; abscheuliche Dinge für liebenswert und liebenswerte Dinge für abscheulich; die Sünde hat den Willen so pervertiert und verdreht, dass er wie ein kranker Magen ist, der entgegen aller Vernunft nach ungesundem Essen verlangt und es isst; sie hat die Gefühle und Neigungen gefesselt in lüsterner Sinnlichkeit und tierischer Unvernunft; sie hat den ganzen Menschen in Ketten gelegt und ihn dem Gesetz der Sünde ausgeliefert; auch hat sie die Stärke der Vernunft und des Gewissens gefangen gelegt, die sie sonst gehindert hätten in ihren bösartigen Neigungen und in ihrem Weg der Gottlosigkeit.« Hier bestätigt Swinnock, dass die Erbsünde den Verstand »verdorben«, den Willen »pervertiert« und die Gefühle »gefesselt« hat. Das Hauptmerkmal der Erbsünde ist, dass sie »den ganzen Menschen in Ketten gelegt hat«. Bolton hat den gleichen Gedanken, wenn er sagt: »Mein Verstand ist blind, nichtig, dumm, mein Wille ist pervertiert und rebellisch, alle meine Gefühle und Empfindungen sind außer der Reihe, da ist nichts Gutes oder Unversehrtes in mir.« Das ist die missliche Lage der Nachkommenschaft Adams seit dem Sündenfall. Aufgrund der Verdorbenheit seiner Natur konnte Adam seinen Nachkommen nur eine verdorbene Natur vererben. Seine vorherige vollkommene Natur war völlig verlorengegangen. Das Ergebnis ist, dass wir alle »tot [sind] durch Übertretungen und Sünden« (Eph. 2,1). 

Des Weiteren versuchen die Puritaner einen Eindruck der Widerwärtigkeit der Sünde zu erwecken, indem sie aufzeigen, wie die Sünde Gott kränkt. Sie machen deutlich, dass die Wurzel aller Sünde das Verlangen ist, »Gott« durch das »Ich« zu ersetzen. Die Sünde widersetzt sich also dem Gedanken, dass Gott allein genügt. Mit den Worten von Jeremiah Burroughs ausgedrückt: »Jedes Mal, wenn die Sünde auftaucht, führt sie zuallererst das folgende Argument an und spricht auf diese Art: ›Es gibt in Gott nicht genug Gutes‹, obwohl Er doch der Glückselige, der Herrliche, der Allgenugsame, der Ewige, der unveränderlich Gute und die Quelle alles Guten ist. Und doch sagt die Sünde immer wieder, dass es nicht genügend Gutes in Gott gäbe, um die Seele damit zu sättigen. Oder warum verlässt die Seele Ihn dann und geht auf sündhaften Wegen und sucht ihr höchstes Gut im Geschaffenen, wenn es doch genug Gutes in Gott gibt?«

Die Sünde richtet sich aber nicht nur dagegen, dass Gott allein genügt, sondern schon gegen Seine Existenz an sich. Ralph Venning sagt, dass die Sünde »den Sünder wünschen und danach trachten lässt, dass es keinen Gott gebe, denn Sünder sind Gotteshasser.« Swinnock stimmt zu: »Sünde ist unvergleichlich böse, weil Gott, der dadurch hauptsächlich geschädigt wird, unvergleichlich großartig ist.« Es ist »ein Brechen des Gesetzes des unvergleichlichen Gottes«, »ein Verachten der Autorität des unvergleichlichen Gottes« und »ein Verunehren des unvergleichlichen Gottes, dessen Name allein großartig ist«.

Entsprechend ihrer deutlichen Darstellung der Sünde werden die Puritaner oft als finstere Spielverderber und altbackene Miesmacher angesehen. Das ist eine bedauernswerte Unterstellung. Ihre Beschreibung der Tiefen unserer Verdorbenheit ist völlig biblisch. Zudem ist sie absolut notwendig, denn sie gründet in ihrer festen Überzeugung, dass wir nur das abtöten, was wir hassen. Eine Sichtweise von der Widerwärtigkeit der Sünde ist der einzige Antrieb, der uns dazu bringt, sie abzutöten – das heißt, täglich die Herrschaft der Sünde zu überwinden.

Sie erhöhen Christus

Der abschließende Grund, warum es mich immer wieder zu den Puritanern zieht, ist die Tatsache, dass sie Christus erhöhen. Der Apostel Paulus sagt uns in den ersten Versen des Epheserbriefes, dass wir »gesegnet sind« in Christus, »erwählt« in Christus, »erlöst« in Christus, »vorherbestimmt« in Christus, »versiegelt« in Christus (Eph. 1,3-14). Sein Argument ist, dass die Errettung vom Anfang bis zum Ende auf Christus beruht. In den Augen der Puritaner gibt es nichts anderes, was die Seele so sehr sättigt, wie das Nachsinnen über Christus und unseren Anteil an Ihm. Mit den Worten John Owens ausgedrückt: »Denen, die an die Errettung der Seele glauben, ist [Christus] und war Er immer kostbar – die Sonne, der Fels, das Leben, das Brot für ihre Seelen – alles, was gut, nützlich, liebenswürdig und begehrenswert ist, hier und bis in Ewigkeit.« 

Christus ermahnt Seine Jünger: »Bleibt in Mir, und Ich [bleibe] in euch! Gleichwie die Rebe nicht von sich selbst aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in Mir bleibt« (Joh. 15,4). Eine Rebe besitzt kein Leben in sich selbst, sondern ist völlig abhängig von ihrer Verbindung zum Weinstock. Ohne diese Verbindung stirbt sie ab. Gleicherweise ist Christus der Weinstock, und wir sind die Reben. Es gibt eine lebenswichtige, organische Einheit zwischen uns. Wir müssen deswegen in Ihm bleiben und eine ständige und enge Gemeinschaft mit Ihm pflegen. Mit anderen Worten, wir müssen unaufhörlich »hinschauen auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens« (Hebr. 12,2). Wir müssen auf Christus blicken in Seinen mannigfachen Rollen und Beziehungen. Als Erlöser befreit Er uns von der Sünde. Als Mittler versöhnt Er uns mit Gott. Als Ehemann vereinigt Er uns mit sich Selbst. Als Vater kümmert Er sich um uns. Als Priester verwendet Er sich für uns. Als Hirte leitet und beschützt Er uns. Als Prophet unterweist und erleuchtet Er uns. Als Anwalt verteidigt Er uns. Als Freund liebt Er uns mit sehnlicher Zuneigung. Als König regiert Er über uns. Als Bürge stellt Er unser Erbe sicher. Als Fels ist Er unsere Zuversicht. 

»Schau auf [Christus]«, drängt John Flavel, »in jeder Hinsicht oder Besonderheit, wie auch immer du willst; betrachte diesen lieblichen Gegenstand aus jedem Blickwinkel; wende ihn in deinen ernsthaften Gedanken hin und her; denke nach über Seine Person, Seine Ämter, Seine Werke oder irgendetwas anderes, was zu Ihm gehört; du wirst sehen, dass alles an Ihm lieblich ist.«


Entnommen aus der Broschüre »Was können wir von den Puritanern lernen«, 3L Verlag

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Was können wir von den Puritanern lernen?

von Verena Penner Lesezeit: 16 min