Änderung der Blickrichtung

14 März, 2023

Kategorie: Erbauung

Änderung der Blickrichtung

Lass deinen Verstand dein Herz verändern

Bei meinem Ansatz, die Bibel zu studieren, war eine Sache, bei der ich das Pferd von hinten aufzäumte, der Glaube daran, dass mein Herz mich dabei leiten sollte. Das Herz, so zeigt es die Heilige Schrift, ist der Sitz des Willens und der Emotionen. Es ist sozusagen das Zentrum unseres »Denkens« (»Entscheidungsträger«) und »Fühlens«. Da ich mich beim Studium der Bibel von meinem Herzen leiten ließ, hieß das, dass ich mir von der Bibel erhoffte, dass sie in mir ein gewisses Gefühl bewirkte, während ich sie las. Ich wollte, dass sie mir Frieden, Geborgenheit und Hoffnung schenkte. Ich wollte, dass ich mich dadurch näher bei Gott fühlte. Ich wollte, dass sie mir Zuversicht in Bezug auf schwere Entscheidungen gab. Weil ich wollte, dass die Bibel meine Emotionen ansprach, verbrachte ich wenig Zeit mit Büchern wie dem dritten oder vierten Buch Mose und umso mehr Zeit mit Büchern wie den Psalmen und den Evangelien. 

Die Bibel gebietet uns, Gott mit unserem ganzen Herzen zu lieben (Mk. 12,30). Wenn wir sagen, dass wir Gott von ganzem Herzen lieben, dann meinen wir damit, dass wir Ihn vollkommen lieben, mit unseren Gefühlen und mit unserem Willen. Dass wir unsere Emotionen mit unserem Glauben verbinden, geschieht bei uns Frauen auf ganz natürliche Weise – allgemein gesprochen wissen wir, auch ohne viel Anleitung, wie emotional wir sein können. 

Wenn wir das Herz als den Sitz unserer Empfindungen und unseres Willens verstehen, ergibt es auch einen Sinn, dass wir uns dem Wort Gottes oft mit den Fragen annähern: »Wer bin ich?«, und »Was soll ich tun?« Diese beiden Fragen sprechen in einzigartiger Weise das Herz an. Und wir sprechen in der Gemeinde häufig darüber, dass der christliche Glaube ein Herzensglaube ist – darüber, wie Christus in unser Herz hineinkommt und dass wir eine Veränderung unseres Herzens brauchen. Es ist gut und richtig, über den Glauben in dieser Weise zu sprechen, aber eben nicht ausschließlich in dieser Weise. 

Interessanterweise fordert der gleiche Vers, der uns dazu aufruft, Gott mit unserem ganzen Herzen zu lieben, auch dazu auf, Ihn mit unserer ganzen Seele zu lieben. Unsere Seele ist der Sitz unseres Geistes, unseres Intellekts. Allerdings fällt es den meisten von uns nicht leicht, unseren Intellekt mit unserem Glauben zu verbinden. Wir leben in einer Zeit, in der man Glaube und Verstand als genaues Gegenteil voneinander betrachtet. Zuweilen hat sogar die Gemeinde diese Art der Sprechweise übernommen. Für einige von uns wird die Stärke des Glaubens daran gemessen, wie nahe wir uns Gott im jeweiligen Augenblick fühlen: wie uns eine Predigt gefühlsmäßig angesprochen hat, wie wir uns bei einem Lied gefühlt haben, wie unsere Stille Zeit unsere Gefühle bestimmt hat. 

Hinter dieser Denkweise steckt unterschwellig der ehrliche Wunsch, eine tiefe Beziehung mit einem persönlichen Gott zu pflegen; aber unseren Emotionen freien Lauf zu lassen, kann anstrengend und kräfteraubend sein. Veränderte Umstände können unser emotionales Gleichgewicht von einem Augenblick auf den anderen ins Wanken bringen. Unser »Weg mit dem Herrn« kann sich eher wie eine Achterbahnfahrt – eine Berg-und-Tal-Fahrt – anfühlen als ein gerader Weg, bei dem Berge und Täler ausgeglichen worden sind. 

Könnte das daran liegen, dass wir da etwas verzerrt haben? Könnte es nicht sein, dass wir bereitwillig ein Ticket für eine Achterbahnfahrt gekauft haben, indem wir unseren (Sinn und) Verstand von unserem Herzen leiten ließen? Wenn wir nicht unsere Blickrichtung ändern – und unser Herz von unserem Denken bestimmen lassen –, könnte uns das eine lange, wilde Auf-und-Ab-Fahrt bescheren. 

Wenn ich hier darauf zu sprechen komme, dass wir unseren Verstand über unser Herz stellen sollten, klingt das fast schon ungeistlich, nicht wahr? Aber schauen wir uns einmal an, was die Schrift über die Rolle unseres Verstandes und unserer Seele zu sagen hat – 

IN BEZUG AUF BUßE UND UMKEHR:
»Wenn sie so zu Dir umkehren mit ihrem ganzen Herzen und mit ihrer ganzen Seele im Land ihrer Feinde … und sie beten zu Dir, … so höre Du im Himmel, in Deiner Wohnstätte, ihr Gebet und ihr Flehen …« (1.Kö. 8,48-49).

IN BEZUG AUF UNSERE SUCHE NACH GOTT:
»So richtet nun euer Herz und eure Seele darauf, den HERRN, euren Gott, zu suchen!« (1.Chr. 22,19).

IN BEZUG AUF UNSEREN INNEREN FRIEDEN:
»Dem festen Sinn erhältst Du Frieden; Frieden, weil er Dir vertraut« (Jes. 26,3; LU21).

IN BEZUG AUF DIE RICHTIGE ANBETUNG:
»Denn wenn ich in einer Sprache bete, so betet zwar mein Geist, aber mein Verstand ist ohne Frucht. Wie soll es nun sein? Ich will mit dem Geist beten, ich will aber auch mit dem Verstand beten; ich will mit dem Geist lobsingen, ich will aber auch mit dem Verstand lobsingen« (1.Kor. 14,14-15).

IN BEZUG AUF UNSER SCHRIFTVERSTÄNDNIS:
»[Jesus] aber sagte ihnen: Das sind die Worte, die Ich zu euch geredet habe, als Ich noch bei euch war, dass alles erfüllt werden muss, was im Gesetz Moses und in den Propheten und den Psalmen von Mir geschrieben steht. Da öffnete Er ihnen das Verständnis, damit sie die Schriften verstanden« (Lk. 24,44-45).

IN BEZUG AUF UNSERE ERNEUERUNG:
»Und passt euch nicht diesem Weltlauf an, sondern lasst euch [in eurem Wesen] verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist« (Röm. 12,2).

Rausche nicht an dieser grundlegenden Wahrheit vorbei, die du gerade in Römer 12,2 gelesen hast. Welcher Christ wünscht sich nicht sehnlichst eine Lebensveränderung und die Erkenntnis des Willens Gottes? In diesem Vers stellt Paulus unzweideutig fest, wie wir sie erlangen können: zunächst durch die Erneuerung unseres Sinnes (Neuausrichtung unseres Denkens) – nicht vorranging unseres Herzens (mit seinen Emotionen). 

Jahrelang habe ich versucht, Gott mit meinem Herzen zu lieben unter Vernachlässigung meines Denkens, und habe nicht mein Bedürfnis erkannt, in der Erkenntnis des »ICH BIN« zu wachsen. Jedes systematische Bibelstudium fühlte sich zwar für mich etwas mechanisch an, sogar ein wenig wie ein Akt der Treulosigkeit, oder es war verbunden mit der Befürchtung, dass die Einsichten des Heiligen Geistes während meiner Stillen Zeit für mich nicht genug sein könnten. Aber mir fehlte die wichtige Erkenntnis, dass das Herz nicht lieben kann, was der Verstand nicht kennt. Das ist die Botschaft von Römer 12,2: und zwar ist es so, dass nicht der Verstand allein eine Erneuerung in uns bewirkt, sondern dass der Weg der Neuausrichtung von unserem Denken zu unserem Herzen verläuft, und nicht umgekehrt. 

Die Welt der Wissenschaft hat diesen »Verstand-vor-Herz­-Bezug« auch bemerkt. Paul Bloom, ein Professor an der Yale­-Universität mit einem Doktortitel in kognitiver Psychologie, ist spezialisiert auf die Erforschung von Freude – auf das Studium, wie wir als Menschen die Fähigkeit entwickeln, Freude an Menschen, Erfahrungen und Dingen zu finden. Er hat mittels seiner Forschung entdeckt, dass Freude nicht einfach so auftritt, sondern sich entwickelt. Und die Art, wie sie sich entwickelt, ist ein Punkt, der beachtenswert ist: »Die Leute fragen mich: ›Wie zieht man mehr Freude aus seinem Leben?‹ Und meine Antwort ist äußerst spitzfindig: Studieren Sie mehr …! Der Schlüssel, einen Wein zu genießen, liegt nicht schlichtweg darin, jede Menge teuren Wein zu gustieren, sondern darin, etwas über den Wein zu lernen.« 

Professor Bloom hat herausgefunden, dass Freude daraus erwächst, dass wir Kenntnis erlangen über das Objekt unserer Freude, und nicht lediglich daraus – wie wir vielleicht annehmen könnten –, das Objekt selbst immer und immer wieder zu genießen. Das heißt, unsere Freude an einer Sache wächst, wenn wir ihre Geschichte, ihren Ursprung oder ihr tieferes Wesen kennenlernen. Dies ist insbesondere für Christen wichtig. Wir sind berufen, ein Volk zu sein, das sich an dem Herrn erfreuen soll, das im Brustton der Überzeugung sagen kann: »Vor Deinem Angesicht sind Freuden in Fülle, liebliches Wesen zu Deiner Rechten ewiglich!« (Ps. 16,11). 

Viele von uns identifizieren sich bereitwillig mit einem Ruf zu »christlichem« Hedonismus und einem Wohlstandschristentum. Und doch haben wir täglich darum zu kämpfen, so zu leben, dass wir unsere größte Freude in Gott finden. Wenn Professor Bloom recht behalten sollte, so resultiert eine größere Freude an Gott nicht aus mehr Erfahrungen mit Ihm, sondern daraus, Ihn besser kennenzulernen. Sie wird daraus resultieren, dass wir Sein göttliches Wesen studieren. 

Denke einmal an die Beziehung, den materiellen Besitz oder das Interesse, aus dem du die größte Freude gewinnst. Wie hat sich diese große Freude bei dir entwickelt? Ob du nun leidenschaftlich an Kunst interessiert bist, an deinem Auto, am Naturschutz, deinem Ehemann, der Ernährung oder an Bildung, so stelle ich hier die Vermutung an, dass du daran ein solches Interesse gewonnen hattest, weil du viel über das Objekt deiner Freude gelernt hast – und dass deine Freude daran in dem Maße wuchs wie auch dein Wissen darüber. 

Die Ehe mag wohl das offensichtlichste Beispiel für diesen Prozess sein. Die meisten Menschen heiraten aufgrund von sehr wenigen Informationen. Hast du das schon festgestellt? Wir setzen unsere Zukunft auf eine relativ kurze Bekanntschaft, größtenteils aufgrund eines emotionalen »Glücksrauschs«, der uns während der Zeit des Werbens ereilt. Wir heiraten, überflutet von Gefühlen der Liebe für unseren Mann, aber wissen ziemlich wenig über ihn, was das große Ganze angeht. Diese anfänglichen Gefühle der Liebe verkümmern entweder oder vertiefen sich, abhängig davon, wie wir sie nähren. 

Wenn ich so an meine zwanzig Jahre Ehe zurückdenke, kann ich aufrichtig sagen, dass ich meinen Mann heute exponentiell mehr liebe als an unserem Hochzeitstag. Warum? Weil ich ihn studiert habe und er mich. Indem ich ihn immer besser kennenlernte, wuchs meine Liebe zu ihm. An unserem Hochzeitstag nahm ich an, dass er ein guter Vater, ein harter Arbeiter und ein treuer Gesprächspartner sein werde; aber zwanzig Jahre später weiß ich, dass er das alles auch wirklich ist. Meine Liebe zu ihm ist in dem Maße gewachsen, wie mein Wissen über ihn zugenommen hat. 

Nun denke einmal in der gleichen Weise an deine Beziehung zu Gott. Die meisten Menschen kommen aufgrund von sehr wenigen Informationen zum Glauben an Gott. Wir verstehen, dass wir Vergebung und Gnade brauchen, und wir gelangen in das Reich Gottes auf einer Welle tiefer Emotionen. Aber wir haben nur eine geringe Ahnung von dem Einen, der uns zu sich geführt hat. Wir nehmen zwar an, dass Er all das Gute ist, aber wir haben Ihn noch nicht recht kennengelernt, noch nicht studiert. Wie eine junge Braut erreichen wir das Ende der Flitterwochenzeit und beginnen, uns zu fragen, wie wir diese Beziehung aufrechterhalten und nähren können. 

Die Antwort liegt darin, Gott recht kennenzulernen, Ihn zu lieben mit unserem ganzen Sinn und Verstand. Nie hat sich der Satz »Ihn zu kennen, ist Ihn zu lieben« mehr bewahrheitet. In dem Maße, wie wir durch das Studium des Wortes in der Erkenntnis von Gottes Charakter wachsen, in dem Maße können wir nicht anders, als in eine exponentiell tiefere Liebe zu Ihm hineinzuwachsen. Dies erklärt auch, warum Römer 12,2 besagt, dass wir verwandelt werden durch die Erneuerung unseres Sinnes. Wir gelangen zu dem Verständnis, wer Gott ist, und wir werden verändert – unsere Empfindungen lösen sich von geringeren Dingen und verbinden sich mit Ihm. Wenn wir eine tiefere Liebe zu Gott empfinden wollen, müssen wir lernen, Ihn klarer als Den zu sehen, der Er ist. Wenn wir tiefe Empfindungen für Gott hegen wollen, müssen wir lernen, Gottes Wesen tief zu ergründen. 

Betrachten wir noch ein weiteres anschauliches Beispiel: Wenn ich dir erzählen würde, dass ich ein Faible fürs Klavier hätte und eine große Freude daran, darauf zu spielen – wie könntest du dann herausfinden, ob meine Gefühle in Bezug auf das Klavier echt sind oder nicht? Ganz einfach! Bitte mich einfach, etwas für dich zu spielen! Jemand, der wirklich gern Klavier spielt, strengt sich an, es zu lernen. Durch viel Anstrengung und mentale Disziplin wächst und gedeiht die Fähigkeit zu spielen – und konsequenterweise auch die Liebe zum Klavierspielen. 

Das Herz kann nicht lieben, was der Verstand nicht kennt. Ja, es ist sündhaft, Wissen zu erwerben um des Wissens willen; aber wenn wir deshalb Wissen über den Einen erwerben, den wir lieben, weil wir Ihn tiefer lieben wollen, dann wird das immer auch zu unserer Erneuerung dienen. Wir müssen Gott auch mit unserem Verstand lieben und es unserem Intellekt erlauben, unsere Emotionen zu formen, und nicht anders herum.


Entnommen aus dem Buch »Frauen studieren die Bibel«, 3L Verlag

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von Verena Penner Lesezeit: 8 min