Die Gefahren öffentlicher Aufrufe

13 Juni, 2023

Kategorie: Erbauung

Die Gefahren öffentlicher Aufrufe


»Habt acht, dass euch niemand beraubt durch die Philosophie und leeren Betrug,
gemäß der Überlieferung der Menschen, gemäß den Grundsätzen der Welt
und nicht Christus gemäß« (Kol. 2,8).

Wie sollen wir die 150 Jahre alte Praxis des Aufrufs am Ende von evangelistischen Veranstaltungen beurteilen? Zu Beginn möchte ich meinen Respekt gegenüber solchen Predigern ausdrücken, welche die Menschen wohlüberlegt und in der Verantwortung vor Gott zu öffentlicher Buße und Umkehr auffordern. Solche Brüder sind wahrscheinlich selbst unglücklich über die schlimme Manipulation in vielen oberflächlichen Gemeinden. Es gibt jedoch viele Gründe, die dafür sprechen, diese Praxis ganz aufzugeben, auch wenn man sie in besonnener Weise ausübt. 

Altarrufe gibt es nicht in der Bibel

Die wichtigste Warnung vor dieser Praxis ist die Tatsache, dass der Altarruf eine menschliche Erfindung ist. Nirgends in der Bibel trägt der Herr Seinen Dienern auf, etwas auch nur im Entferntesten Ähnliches zu tun. Der Herr Jesus Christus, unser vollkommenes Vorbild, rief nie zu »öffentlicher Entscheidung« auf oder zum öffentlichen Bekenntnis, wie es heute üblich ist, wo ein äußerlicher Akt an eine geistliche Sache angehängt wird. Auch die Apostel taten nichts dergleichen. Kein einziger bekannter Evangelist in der ganzen Kirchengeschichte tat so etwas – bis zum 19. Jahrhundert. Alle Versuche, einen früheren Ursprung für dieses Aufrufsystem zu finden, sind gescheitert. Wer sich objektiv die Schriftstellen ansieht, mit denen diese Appelle üblicherweise gerechtfertigt werden, muss zustimmen, dass diese Texte aus dem Zusammenhang gerissen wurden, wobei ihre einfache, offenkundige Bedeutung entstellt wurde. 

Altarrufe geben dem Suchenden eine vermeintliche »Vollzugsgewalt«, sich selbst zu erretten

Ob der Prediger es beabsichtigt oder nicht, vermittelt der Ruf nach vorn dem Suchenden den Eindruck, er habe die Vollzugsgewalt, sich selbst zu erretten. Ihm wird vermittelt, er habe es in der Hand, und die Bekehrung vollziehe sich auf sein Geheiß hin. Mit dem sofortigen öffentlichen Bekenntnis könne er seine Entscheidung, Christ zu werden, besiegeln. Der Aufruf zu diesem Bekenntnis überzeugt ihn davon, dass er seine Errettung augenblicklich festmachen sollte, und dass der allmächtige Gott dieser Entscheidung sofort Folge leiste und dementsprechend reagiere. 

Es ist jedoch gewiss nicht richtig, einem Suchenden einen solchen Eindruck zu vermitteln. Nur Gott hat die Macht, eine Bekehrung zu bewirken, und zwar zu Seiner Zeit. Wir kommen als Suchende zu Ihm und nicht als Freibeuter – als solche, die empfangen und nicht einfach etwas an sich reißen wollen. Wir sind Sünder in der Hand eines gnädigen und souveränen Gottes. Wir müssen bitten, suchen und anklopfen. Errettet zu werden entspricht dem demütigen Herannahen zu einem König – und nicht dem Drücken eines Knopfes, um das Garagentor zu öffnen. Es gibt wichtige Gründe dafür, dass Gott dem Suchenden möglicherweise nicht sofort antwortet. Das werden wir beim nächsten Punkt sehen.

Beim Altarruf wird der Mensch nie geprüft oder in Frage gestellt

Ein weiterer falscher Eindruck, der dem Suchenden durch den Aufruf vermittelt wird, besteht darin, dass sein Hinzutreten zu Gott nicht in Frage gestellt zu werden braucht. Eine Überprüfung, ob er aufrichtig und von ganzem Herzen zu Gott kommt, scheint nicht nötig zu sein. In Wirklichkeit prüft Gott aber, in welcher Haltung jemand zu Ihm kommt. Der Herr kennt den wahren Zustand des Herzens der Suchenden, und Er sieht, ob ihre Buße und ihr Glaube echt sind. Er weiß, ob der Suchende wirklich von Sünde überführt oder lediglich emotional aufgeladen ist, und dementsprechend antwortet Er.

Aus diesem Grund bezeugen die meisten Christen, dass sie bei ihrer Suche nach Errettung zwei oder drei Mal Buße tun mussten, bevor sie sicher waren, dass Gott ihr Gebet gehört und erhört hatte. Bevor sie wussten, dass der Herr ihre Sünden abgewaschen hatte, gab es eine Zeit der Herzensprüfung; denn Christus öffnet die Tür der geistlichen Erfahrung nie, bevor der Heilige Geist den überführten Suchenden in die echte Buße und alleinige Abhängigkeit vom Sühnetod Christi geführt hat.  

Das Aufrufsystem hat viele Menschen in die Gemeinden gebracht, die sich für bekehrt halten, aber in Wirklichkeit ihr Leben nicht der Herrschaft Christi unterworfen haben, sondern immer noch im Bann weltlicher Attraktionen leben und nicht allein auf die Gnade vertrauen. Unsere Aufgabe ist es, Menschen davon zu überzeugen, dass sie aufrichtig zu Christus zu kommen haben. Der Sünder muss sich einem allwissenden Herrn nahen, der ins Herz sieht. Er allein weiß, ob der Suchende wirklich zur Umkehr bereit ist.

Der Altarruf verleiht falsche Heilsgewissheit

Der vorherige Punkt muss noch weiter ausgeführt werden: Wenn der Suchende dem Ruf nach vorn folgt, scheint ihm das eine klare Bestätigung dafür zu sein, dass die Bekehrung stattgefunden habe. Dies ist eine äußerst gefährliche und schädliche Selbsttäuschung. Unzähligen Menschen wurde in den letzten 150 Jahren versichert, sie seien bekehrt, obwohl es keine echten Anzeichen dafür gab. Tausende von Taschenbüchern und Traktaten, die von Vertretern dieser Theologie herausgegeben wurden, vermitteln dieselbe falsche Gewissheit. Sie sagen den Lesern, dass Gott, wenn sie Christus angenommen haben, gewiss ihre Seelen errettet habe, ob sie nun etwas fühlen oder nicht. 

Wahrheit ist jedoch: Wenn ein Sünder wirklich bekehrt ist, wird ihm Gott die Bekehrung bestätigen, indem Er der Seele Trost und Gewissheit gibt sowie ein völlig neues Leben mit neuen Motiven, neuen Wünschen, einem neuen Charakter und neuen Stärken. Solche Veränderungen sind klar offensichtlich und beweisen für den Beobachter, dass der Suchende von Neuem geboren ist.

Das System des Altarrufes – ein Appell

Das System des »Rufs nach vorn« wurde nicht als echter Appell an den Verstand und das Gewissen konzipiert, sondern als eine Form von Manipulation. Deshalb ist es unweise, den Altarruf als Höhepunkt einer evangelistischen Predigt einzusetzen. Es ist unser großes Vorrecht und unsere Pflicht, appellierend und überzeugend zu Verlorenen zu predigen; aber das müssen wir in einer Art und Weise tun wie einst die Apostel: Wir müssen die Menschen inständig zu Buße und Glauben drängen, müssen sie überführen, dass es heilsnotwendig ist, zum Herrn zu gehen und sich an Ihn zu wenden – zu bitten, zu suchen und anzuklopfen, um die Erlaubnis zum Eintritt ins Reich Gottes zu flehen. Das ist etwas ganz anderes, als jemanden aufzurufen, sich »heute Abend zu entscheiden, Christus anzunehmen, nach vorn zu kommen« – und daran die Bekehrung festzumachen. 

Allein der Herr, der die Herzen kennt, kann sehen, ob ein Mensch ein geistlich echter Suchender ist, ob er sich über seine Sünden schämt, seine Selbstgerechtigkeit verwirft, allein auf das Werk Christi auf Golgatha vertraut und von ganzem Herzen Versöhnung und Leben ersehnt. Wenn diese Dinge vorhanden sind, wird Gott ihn dahin führen, seiner Vergebung und Bekehrung gewiss zu sein.

Wenn ein Sünder dem Ruf zur Annahme des Evangeliums antwortet, sollte das im Stillen zwischen ihm und dem Herrn besiegelt werden, denn dies ist eine ausschließlich persönliche und geistliche Begegnung und hat nichts mit einem öffentlichen Akt zu tun. Aus allen diesen Gründen appellieren wir respektvoll an alle Dienstgefährten der Evangeliumsverkündigung, die Praxis des Altarrufes sehr skeptisch zu betrachten.


Entnommen aus dem Buch: »KraftWort«

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Die Gefahren öffentlicher Aufrufe

von Verena Penner Lesezeit: 5 min