Die Notwendigkeit der Selbstprüfung

18 Dezember, 2024

Kategorie: Erbauung

Die Notwendigkeit der Selbstprüfung

»Erforsche mich, o Gott, und erkenne mein Herz;
prüfe mich und erkenne, wie ich es meine; und sieh, ob ich auf
bösem Weg bin, und leite mich auf dem ewigen Weg!«
Psalm 139,23-24

Psalm 139 spricht über die Allwissenheit Gottes. Gott sieht und kennt alles vollkommen. Der Psalmist macht dieses vollkommene Wissen durch die Bestätigung klar, dass Gott all unser Tun kennt: »Ich sitze oder stehe auf, so weißt Du es …« (V. 2). Gott kennt jeden unserer Gedanken: »… Du verstehst meine Gedanken von ferne.« Er kennt jedes unserer Worte: »… ja, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das Du, HERR, nicht völlig wüsstest« (V. 4).

Dann zeigt David, wie unmöglich es ist, sich der Gegenwart Gottes zu entziehen:

»Wo sollte ich hingehen vor Deinem Geist, und wo sollte ich hinfliehen vor Deinem Angesicht? Stiege ich hinauf zum Himmel, so bist Du da; machte ich das Totenreich zu meinem Lager, siehe, so bist Du auch da! Nähme ich Flügel der Morgenröte und ließe mich nieder am äußersten Ende des Meeres, so würde auch dort Deine Hand mich führen und Deine Rechte mich halten! Spräche ich: ›Finsternis soll mich bedecken und das Licht zur Nacht werden um mich her!‹, so wäre auch die Finsternis nicht finster für Dich, und die Nacht leuchtete wie der Tag, die Finsternis [wäre für Dich] wie das Licht« (V. 7-12).

Weiter spricht er davon, dass Gott ihn bereits kannte, als er noch nicht geboren war:

»Denn Du hast meine Nieren gebildet; Du hast mich gewoben im Schoß meiner Mutter … Mein Gebein war nicht verhüllt vor Dir, als ich im Verborgenen gemacht wurde, kunstvoll gewirkt tief unten auf Erden. Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in Dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war« (V. 13.15-16).

David fasst daraufhin das ins Auge, was als notwendige Folge der Allwissenheit Gottes angesehen werden muss: »Ach, wollest Du, o Gott, doch den Gottlosen töten!« (V. 19).

Und schließlich wendet er sein Nachdenken über die Allwissenheit Gottes praktisch an. Er bittet Gott darum, ihn zu erforschen, zu prüfen und zu sehen, ob er auf bösem Weg sei, und er bittet Gott darum, ihn auf dem ewigen Weg zu leiten.

Natürlich meint der Psalmist mit seiner Bitte an Gott, ihn zu erforschen, nicht etwa, der allwissende Gott müsse dadurch etwas Neues erfahren. Das eigentliche Anliegen des Psalms ist das Bekenntnis, dass Gott bereits alles weiß. Deshalb bittet der Psalmist Gott, ihm seine Sünde zu offenbaren, damit er sie sehen und erkennen kann.

David hatte bereits sein Herz und seine Wege geprüft, aber er vertraute seinem eigenen Urteil nicht. Er fürchtete, dass es in ihm immer noch eine unbekannte Sünde geben könne, die er bei seiner eigenen Selbstprüfung übersehen habe. Deshalb bat er Gott inständig, dass Er ihn prüfen möge.

Demgemäß schreibt David in Psalm 19,13: »Verfehlungen — wer erkennt sie? Sprich mich los von denen, die verborgen sind!« Mit »verborgenen Verfehlungen« meint er Sünden, die ihm selbst bisher verborgen geblieben waren – die Sünden in ihm, die er nicht erkannt hatte.

Jeder von uns sollte sich selbst immer wieder prüfen, ob er nicht vielleicht sündigt, ohne sich dessen bewusst zu sein – ob er heimliche Begierden hegt oder geistliche Pflichten vernachlässigt. Unsere verborgenen Sünden sind Gott ebenso zuwider und verunehren Ihn wie die offensichtlichen und erkannten Sünden. Da wir ohnehin zur Sünde neigen und unser natürliches Herz voller Sünde ist, müssen wir besonders darauf bedacht sein, jene Sünden zu vermeiden, die verborgen, unbeabsichtigt und unwissentlich begangen werden.

Jeder sollte sich fragen, ob er nicht in irgendeiner Weise in Sünde lebt

Unser Mangel an Einsicht in Bezug auf unsere eigenen sündigen Wege ist nicht darauf zurückzuführen, dass es uns an Anweisungen vonseiten Gottes mangle. Er hat es gewiss nicht versäumt, uns deutlich und hinreichend vor den Wegen der Sünde zu warnen. Er hat uns genügend Gebote gegeben, die uns zeigen, was wir tun und lassen sollen, und wir finden sie in Seinem Wort klar ausgedrückt. Die Schwierigkeit, unser eigenes Herz zu erkennen, liegt also nicht darin, dass wir nicht die richtigen Anweisungen hätten. Die Fragen, die sich uns dann stellen, sind folgende:

    • Woran liegt es, dass Menschen so leben, dass es Gott missfällt? 
    • Warum erscheinen sie in dieser Hinsicht oft so völlig unempfänglich? 
    • Weshalb leben sie in völliger Blindheit gegenüber der eigenen Sünde? 

Mehrere Faktoren tragen zu dieser verhängnisvollen Entwicklung unter uns Menschen bei:

Das verblendende und trügerische Wesen der Sünde

Das Herz des Menschen ist voller Sünde und Verdorbenheit. Diese Verdorbenheit hat eine geistlich verblendende Wirkung. Die Sünde bringt immer Finsternis mit sich. Je mehr sie sich ausbreitet, desto mehr verfinstert und verblendet sie den Geist. Sie macht uns blind für die Wirklichkeit in unserem eigenen Herzen. Um es noch einmal zu sagen: Das Problem ist nicht, dass uns das Licht der Wahrheit Gottes fehlen würde. Das Licht leuchtet hell genug um uns herum, aber der Fehler liegt in uns selbst, in unseren eigenen geistlichen Augen. Sie sind verfinstert und verblendet durch tödliches Unvermögen – als Ergebnis der Sünde.

Die Sünde täuscht leicht, denn sie beherrscht den Willen des Menschen, und dieser beherrscht das Urteilsvermögen. Wo die Begierde die Oberhand gewinnt, drängt sie die Vernunft zur Zustimmung. Wo die Sünde unsere Vorlieben beeinflusst, erscheint sie uns als annehmbar und gut. Von Natur aus hält unser Verstand alles für richtig, was uns gefällt. Wenn also ein sündhaftes Verlangen unseren Willen beherrscht, so wirkt es sich auch auf unseren Verstand aus. Und je mehr ein Mensch in der Sünde wandelt, desto mehr wird sein Verstand verfinstert und verblendet. So gewinnt die Sünde die Herrschaft über den Menschen.

Wenn der Mensch sich also seiner Sünde nicht bewusst ist, kann es äußerst schwierig sein, ihn zur Einsicht zu bringen. Denn schließlich verblendet derselbe böse Wunsch, der zur Sünde führt, den Menschen auch hinsichtlich dieser Sünde. Je mehr ein zorniger Mensch seinem Groll oder seinem Neid nachgibt, desto mehr verblendet diese Sünde seinen Verstand, sodass er sie gutheißt. Je mehr ein Mensch seinen Nächsten hasst, desto mehr neigt er zu der Überzeugung, gute Gründe dafür zu haben, dass sein Nächster unbedingt hassenswert sei, ja dass er es geradezu verdiene, gehasst zu werden, und dass es nicht seine Pflicht sei, ihn zu lieben. Je mehr sich die böse Begierde in einem Menschen festsetzt, desto süßer und lieblicher wird ihm diese Sünde erscheinen, und desto mehr wird er zu denken geneigt sein, es sei nichts Böses daran.

Ebenso gilt: Je mehr materielle Dinge jemand begehrt, desto wahrscheinlicher ist es, dass er dies für entschuldbar hält. Er wird sich einreden, dass er bestimmte Dinge brauche und ohne sie nicht auskommen könne. Er sagt sich: Wenn sie notwendig sind, ist es keine Sünde, sie zu begehren. Jede Begierde des menschlichen Herzens kann auf diese Weise gerechtfertigt werden. Und je mehr diese Begierden überhandnehmen, umso mehr verblenden sie den Verstand und beeinflussen das Urteilsvermögen, sodass man den Begierden zustimmt. Deshalb bezeichnet die Heilige Schrift die weltlichen Begierden als »betrügerisch« (Eph. 4,22). Auch Menschen, die ein Gott wohlgefälliges Leben führen wollen, können sich eine Zeit lang von der Begierde blenden und verführen lassen, sodass sie nicht Gott wohlgefällig leben.

Die Begierden verleiten den fleischlichen Sinn auch dazu, Ausreden zu erfinden, um sündige Gewohnheiten zu rechtfertigen. Wenn es darum geht, Sünde zu rechtfertigen, ist unsere menschliche Natur sehr erfinderisch. Manche sind ihrer Sünde geradezu ergeben. Wenn sie deshalb aufgrund dieser Sünde von ihrem Gewissen geplagt werden, versuchen sie in ihrem Kopf Argumente zu finden, um ihr Gewissen zum Schweigen zu bringen. So reden sie sich ein, sie hätten das Recht, ihre sündigen Gewohnheiten fortzusetzen.

Die Eigenliebe verleitet den Menschen dazu, seine eigene Sünde ohne Einschränkung zu rechtfertigen, denn wir Menschen verurteilen uns selbst nur ungern. Wir sind von Natur aus voreingenommen, wenn es um uns selbst geht. Deshalb suchen wir nach gut klingenden Bezeichnungen für unsere sündigen Neigungen und Gewohnheiten. Auf diese Weise wird aus diesen eine Tugend – oder zumindest eine unschuldige Sache. Habsucht wird als »weise Voraussicht« bezeichnet und Geiz als »Geschäftstüchtigkeit«. Wenn Menschen sich über das Unglück eines anderen freuen, dann tun sie so, als wünschten sie, dass es dem anderen zum Guten gereiche. Wenn sie zu viel trinken, tun sie so, als sei dies aus gesundheitlichen Gründen notwendig. Wenn sie über andere lästern oder schlecht über sie reden, tun sie so, als täten sie es nur aus Sorge um deren Sünden. Wenn sie sich mit anderen streiten, nennen sie ihre Sturheit Gewissen und ihre kleinlichen Meinungsverschiedenheiten eine Sache des Prinzips. Auf diese Weise finden sie immer die richtigen Bezeichnungen für all ihre schlechten Taten.

Viele Menschen neigen dazu, ihre Prinzipien ihren Gewohnheiten anzupassen und nicht umgekehrt. Anstatt ihr Verhalten ihrem Gewissen anzupassen, verwenden sie unglaubliche Energie darauf, ihr Gewissen ihrem Verhalten anzupassen.

Gerade weil die Sünde trügerisch ist und so viel Sünde in unseren Herzen wohnt, ist es für uns schwer, unsere eigenen Wege und Verhaltensweisen richtig zu beurteilen. Deshalb sollten wir uns selbst sorgfältig prüfen und uns bemühen, völlige Klarheit darüber zu erlangen, ob wir in Sünde leben. »Habt acht, ihr Brüder, dass nicht in einem von euch ein böses, ungläubiges Herz sei, das im Begriff ist, von dem lebendigen Gott abzufallen! Ermahnt einander vielmehr jeden Tag, solange es ›Heute‹ heißt, damit nicht jemand unter euch verstockt wird durch den Betrug der Sünde!« (Hebr. 3,12-13).

Es ist leichter, Fehler bei anderen zu sehen als bei sich selbst. Wenn ein anderer einen Fehler macht, verurteilt man ihn sofort – auch wenn man seine eigene Sünde auf diesem Gebiet rechtfertigt (vgl. Röm. 2,1). Wir alle bemerken eher den Splitter im Auge des anderen als den Balken im eigenen. »Jeder Weg eines Menschen ist recht in seinen Augen« (Spr. 21,2). 

»Überaus trügerisch ist das Herz und bösartig; wer kann es ergründen?« (Jer. 17,9). In dieser Frage können wir uns nicht auf unser eigenes Herz verlassen. Vielmehr müssen wir ein wachsames Auge auf uns selbst haben, unser eigenes Herz sorgfältig befragen und Gott inständig bitten, uns gründlich zu erforschen. »Wer sich auf sein eigenes Herz verlässt, ist ein Narr« (Spr. 28,26). 

Die Intrige des Satans

Der Teufel arbeitet Hand in Hand mit unseren eigenen betrügerischen Begierden. Er tut alles dafür, damit wir unsere eigenen Fehler nicht sehen. Er versucht ständig, uns zur Sünde zu verführen, und arbeitet dann an unserem fleischlichen Verstand, damit wir uns besser fühlen, als wir in Wirklichkeit sind. So verblendet er das Gewissen. Er ist der Fürst der Finsternis. Er ist der Fürst der Verblendung und des Betruges, schon seit Adam und Eva.

Die Macht der Gewohnheit

Manche Menschen sind sich der Sünden, die sie aus Gewohnheit begehen, gar nicht mehr bewusst. Oft stumpfen Gewohnheitssünden das Herz so ab, dass Sünden, die früher Gewissensbisse hervorriefen, immer harmloser erscheinen.

Das Beispiel anderer

Manche stumpfen auch gegenüber der eigenen Sünde ab, indem sie ihre moralischen Maßstäbe von der Meinung bestimmen lassen, die gerade in der Allgemeinheit vorherrscht. Sie schauen auf das, was andere tun, um zu erkennen, was richtig und was falsch sei. 

Die Gesellschaft ist aber gegenüber der Sünde so tolerant geworden, dass viele Sünden ihren schlechten Beigeschmack verloren haben. Dinge, die Gott nicht gefallen können und die Ihm ein Gräuel sind, erscheinen, wenn man sie mit den Augen der Allgemeinheit betrachtet, fast unanstößig. Wenn wir sie bei denen sehen, die wir hoch schätzen – womöglich auch bei unseren Vorgesetzten oder bei Menschen, die für weise gehalten werden –, dann beeinflusst das unser Denken über diese Sünden so sehr, dass die Empfindsamkeit für die eigene Bosheit geschwächt wird. Besonders gefährlich ist es, wenn fromme Männer, respektable christliche Persönlichkeiten, bei Sünden ertappt werden. Das kann das Herz des Beobachters dazu veranlassen, sein eigenes Gewissen zu verhärten und es mit seinen bösen Gewohnheiten nicht mehr so genau zu nehmen. 

Halbherziger Gehorsam

Wer Gott nur halbherzig oder nicht völlig gehorcht, steht ebenfalls in der Gefahr, in unerkannter Sünde zu leben. Manche bekennende Christen vernachlässigen einen Bereich ihrer geistlichen Pflichten und konzentrieren sich nur auf einen anderen Bereich. Vielleicht sind die Gedanken solcher Christen nur mit stillem Gebet, Bibellesen, Gottesdienst, Nachsinnen über Gott und Sein Wort und anderen geistlichen Pflichten beschäftigt, während sie die moralischen Pflichten vernachlässigen, wie zum Beispiel die Verantwortung gegenüber dem Ehepartner, den Kindern oder den Mitmenschen.  

Sie wissen, dass sie niemanden betrügen und nicht lügen dürfen. Aber sie scheinen nicht zu bedenken, was für ein Übel es ist, über andere Menschen verächtlich zu reden, sie zu verleumden, zu zanken und zu streiten, in der Familie ein scheinheiliges Leben zu führen oder die geistliche Erziehung der Kinder zu vernachlässigen.

Solche Menschen mögen in einigen Bereichen ihrer Pflichten, auf die sie ihr besonderes Augenmerk richten, sehr gewissenhaft erscheinen, können aber andere wichtige Bereiche völlig vernachlässigen.

Von Natur aus fällt es uns sehr schwer, unsere eigene Sünde ehrlich zu beurteilen. Wenn wir uns aber ernstlich genug darum bemühen und bei der Erforschung unseres eigenen Herzens sorgfältig und gründlich vorgehen, können wir innere Sünden immer mehr erkennen. Wer Gott wohlgefallen und Ihm gehorchen will, darf bei aller geistlichen Erkenntnis, die wir haben, gewiss nicht aus Unwissenheit auf dem Weg der Sünde weitergehen.

Es ist wahr, dass unsere Herzen überaus trügerisch sind. Aber Gott hat uns in Seinem heiligen Wort genügend Licht geschenkt, um die Finsternis zu durchdringen, die uns in der Welt umgibt. Durch sorgfältiges Suchen und Forschen darin können wir unsere geistlichen Pflichten erkennen und sehen, ob wir auf dem Weg der Sünde sind.

Wer Gott wirklich liebt, wird sich über die in der Bibel bereitgestellten Hilfe bei dieser Suche freuen. Solche Menschen sind sehr darauf bedacht, in allen Dingen so zu wandeln, wie Gott es möchte, um Ihn zu erfreuen und zu ehren. Wenn ihr Leben in irgendeiner Weise gegen Gottes Gedanken verstößt, sind sie froh, wenn sie das erkennen können. Es wäre ihnen keineswegs gleichgültig, wenn ihnen ihre eigene Sünde verborgen bliebe. Mehr noch: Wer aufrichtig suchend fragt: »Was muss ich tun, um gerettet zu werden?«, wird die Sünde in seinem Leben beim Namen nennen wollen. Denn es ist gerade die Sünde, die seine Beziehung zu Christus stört.

Wenn du erkannt hast, dass du bisher auf dem Weg der Sünde warst, dann bedenke: Wenn du jetzt so weitermachst, lebst du bewusst in Sünde. Ob du es schon vorher begriffen hast oder nicht: Du hast – womöglich unbewusst – in Sünde gelebt. Jetzt aber, da du die Sünde erkennst und in ihr verharrst, handelt es sich nicht mehr um eine Sünde der Unwissenheit, sondern du bist nun einer, der absichtlich und bewusst in Sünde lebt.

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Die Notwendigkeit der Selbstprüfung

von Lucas Derksen Lesezeit: 10 min