Meine Kindheit war meiner Empfindung nach ziemlich durchschnittlich. Ich hatte Freunde, war aber nicht sonderlich populär. In der Schule war ich gut, aber kein Überflieger. Ich mochte Fußball, spielte aber bei Turnieren selten von Anfang an in der Mannschaft mit. Ich war ein ziemlich normaler Junge, ohne große Sorgen, ohne überschwängliche Freuden, aber mit vielen Gedanken. Ich erinnere mich, wie ich oft abends im Bett lag, nicht schlafen konnte und über tausend Dinge nachdachte.
Eines dieser tausend Dinge war mein eigenes Leben. Hatte es einen Sinn? Auch dann, wenn unsere Sonne irgendwann mal explodieren würde? Welche Bedeutung hat mein Leben, wenn doch alles vergeht? Ich war nicht besonders clever, aber mir war konsequentes Denken und Handeln sehr wichtig. Ich wollte auf diese wichtige Frage keine »Schmalspurantwort« akzeptieren. Wenn Leben, dann richtig, dann mit Bedeutung. Aber ich fand keine Antwort – keine bei meinen Eltern, keine im Religionsunterricht, keine im Fernsehen. Ich war tief frustriert. Lohnte sich all die Mühe überhaupt, all das Lernen für Klassenarbeiten, all das frühe Aufstehen für die paar gelegentlichen, vergänglichen Freuden? Wäre es da nicht konsequent, rational und – ja, besser, wenn ich dem Ganzen einfach ein Ende setzte?
So kam es dazu, dass ich mir Schlaftabletten aus der Apotheke besorgte, um mein Leben zu beenden. Ich saß auf meinem Bett, die Tabletten vor mir ausgeschüttet, und – konnte es nicht. Ich war zu feige. Ich erinnere mich noch, wie ich vor Trauer und Wut über mich selbst weinte und – ich weiß nicht warum und wieso – betete: »Gott, wenn es Dich gibt, dann zeig Dich mir. Du bist meine einzige Hoffnung, dass irgendwas in diesem Leben Sinn macht!«
Jahre vergingen. Es ergab sich, dass ich für ein Jahr Austauschschüler an einer amerikanischen High-School werden sollte. Aufregend! Ich hatte beschlossen, die amerikanische Gesellschaft voll zu genießen – auch in ihren Absurditäten. Dazu zählte für mich das ganze Thema »Religion«. Ich ging eifrig in die Jugendstunde einer Gemeinde, nicht um zu lernen, sondern – zu lehren: Ich hatte geradezu einen missionarischen Eifer, dem religiösen Amerika die moderne Evolutionstheorie beizubringen und sie von ihren Adam-und-Eva-Märchen zu befreien.
Zum Glück nahm sich der Jugendpastor meiner an und bot mir an, sich jeden Mittwochnachmittag zu einer fortlaufenden Diskussion mit mir zu treffen. Ich willigte gern ein und studierte die restliche Woche fleißig Biologie- und Physikbücher, die ich mir dazu extra aus Deutschland schicken ließ. Aber ich musste bald erkennen, dass seine Fragen weder oberflächlich noch »hinterwäldlerisch« waren und meine Antworten weder unausweichlich noch zwingend logisch.
Mich brachte das sehr ins Nachdenken, und ich wurde offen dafür, dieser Bibel und diesem Pastor einmal ganz unvoreingenommen zuzuhören. Mit ihm zusammen erforschte ich die Frage nach der Schöpfung der Welt, der Existenz Gottes und der Moral. Und ich war erstaunt, welch große Komplexität, Tiefe und Wahrheit sich in diesem »alten Buch« fand. Der Glaube kam bei mir nicht plötzlich, sondern allmählich. Ich lernte Gott zuerst als Schöpfer und als »die Wahrheit« kennen (Joh. 14,6). Ich war fasziniert von Ihm. Und so betete ich damals: »Wenn ich nur Dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde« (Ps. 73,25; LU).
Als ich nach Deutschland zurückkehrte, war es nicht einfach, gerade das auszuleben. Ich wollte Gott dienen mit allem, was ich hatte. Noch nicht aus großer Liebe, sondern weil ich wusste, dass Er »wahr« ist. Ich las die Bibel stundenlang, schmiss meinen Fernseher raus, besuchte verschiedenste Gemeinden … Meine Eltern und Freunde dachten, ich sei einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Ich eckte direkt an mit meinem neuen Glauben (und meiner Unreife, ihn auszuleben), aber dieser Gott faszinierte mich mehr und mehr. Ich lernte Ihn und mich immer besser kennen – zuerst mit meinem Kopf, aber zunehmend auch mit meinem ganzen inneren Menschen. Zu dieser Zeit wurde mir ganz stark bewusst, dass ich Gottes Standard nicht erfüllte, dass Gott aber vollkommen gerecht ist, und dass Er, um mich annehmen zu können, Seinen Sohn an meiner Stelle bestraft hatte.
Diese frohe Botschaft gewann für mich immer mehr an Bedeutung. Seine Liebe und Sein unverdientes Wohlwollen angesichts meiner Sünden, die ich mein ganzes Leben lang als »Normalität« angesehen hatte, begeisterten mich auf einer viel tieferen Ebene als wissenschaftliche Grübeleien. Der König der ganzen Welt wurde plötzlich mein Geliebter. Und diese Freude änderte alles. Heute kann ich sagen: Gott hat das Gebet des damals so verzweifelten Jungen beantwortet. Und Er ist mir so viel mehr geworden als nur »Sinnstifter« meines Lebens – Er kam mir nah, Er wurde mein Gott, mein Herr, mein Erlöser.
Daher bekenne ich mit völliger Gewissheit: Mir ist Gnade widerfahren, Gnade, deren ich nicht wert. Ich fragte nicht nach Gott, lebte vollkommen getrennt von Ihm. Er war mir egal. Ich lehnte Ihn sogar ab und lebte in allen Bereichen meines Lebens entgegen Seinen Geboten. Trotzdem zog Er mich zu sich und gab mir das Sehnen und Fragen nach Ihm, ja auch das Beten zu Ihm als Geschenk. Angesichts dieser Liebe tue ich Buße über meine Sünden und stimme Gott zu: Mein Leben verdiente den Tod, ich war verloren und habe nichts zu meiner Errettung beigetragen. Doch ich bin völlig gewiss und überzeugt, dass der dreieinige Gott existiert und diejenigen belohnt, die sich nicht mittels guter Werke, sondern im Glauben an Seinen Sohn Jesus Christus an Ihn wenden. Seine Belohnung ist das ewige Leben, der Grund dafür ist die Gerechtigkeit Seines Sohnes, das Mittel der Glaube, und ich bin nur der Profiteur.