Ein treuer Prediger sagte einmal: »Predigen ist die öffentliche Auslegung der Schrift durch den von Gott gesandten Mann, worin Gott Selbst in Gericht und Gnade gegenwärtig ist.« Treuer Dienst auf der Kanzel erfordert es, beides zu verkünden: Gericht und Gnade. Das Wort Gottes ist ein scharfes, zweischneidiges Schwert, es erweicht und verhärtet, tröstet und betrübt, rettet und verdammt.
Die Predigt des göttlichen Zorns dient als Hintergrund aus schwarzem Samt, welcher den Diamanten von Gottes Gnade noch heller erstrahlen lässt als zehntausend Sonnen. Auf der dunklen Leinwand des göttlichen Zorns kommt die Schönheit Seiner rettenden Gnade am besten zur Geltung. Das Predigen von Gottes Zorn zeigt uns auf hervorragende Weise, wie barmherzig und gütig Er gegenüber Sündern ist.
Wie Posaunenschall auf der Burgmauer, der für die Leute innerhalb der Mauern ja sehr unangenehm ist, sie vor bevorstehenden Bedrohungen warnt, so dürfen Prediger nicht nur das predigen, was ihre Zuhörer hören möchten, sondern müssen ihnen den ganzen Ratschluss Gottes verkünden. Diejenigen, die auf der Kanzel stehen, müssen die ganze Wahrheit der Schrift verkündigen, die sowohl den souveränen Zorn als auch die höchste Liebe beinhaltet. Sie können sich nicht aussuchen und wählen, was sie predigen wollen. Den Zorn Gottes anzusprechen, ist für einen treuen Prediger nie eine freiwillige Entscheidung – es ist ein göttlicher Auftrag.
Tragischerweise fehlt heutzutage auf vielen Kanzeln die Predigt, die sich mit dem bevorstehenden Gericht Gottes befasst. Prediger versuchen, den Zorn Gottes zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, wenn sie überhaupt ein Wort darüber verlieren. Viele argumentieren, man müsse als Prediger den Zorn Gottes kleinreden, damit die Menschen Gott mehr lieben könnten. Aber die Botschaft von Gottes Zorn zu unterlassen, bedeutet, Seine erstaunliche Liebe zu verbergen. Auf eigenartige Weise ist es unbarmherzig, die heilige Vergeltung in der Verkündigung zurückzuhalten.
Warum ist es so notwendig, den göttlichen Zorn zu predigen?
1. Die Heiligkeit Gottes verlangt es
Ein wesentlicher Teil der moralischen Vollkommenheit Gottes ist Sein Hass gegen die Sünde. A. W. Pink behauptet: »Der Zorn Gottes ist Seine Heiligkeit, die Ihn zum Eifern gegen die Sünde anregt.« Gott ist ein »verzehrendes Feuer« (Hebr. 12,29). Er ist »ein Gott, der [den Gottlosen] täglich zürnt« (Ps. 7,11-14). Gott »hasst die Gesetzlosigkeit« (Ps. 45,7-8) und ist zornig auf alles, was Seinem vollkommenen Wesen widerspricht. Deshalb wird Er alle Sünder am Tag des Gerichts »vertilgen« (s. Ps. 5,7).
Jeder Prediger muss den Zorn Gottes verkündigen, oder er wird Seine Heiligkeit, Liebe und Gerechtigkeit ausgrenzen. Da Gott heilig ist, ist Er von jeglicher Sünde geschieden und steht gänzlich gegen jeden Sünder. Weil Gott Liebe ist, erfreut Er sich an Reinheit und muss zwangsläufig alles Unheilige hassen. Weil Gott gerecht ist, muss Er die Sünde bestrafen, die ja Seine Heiligkeit verletzt.
2. Der Dienst des Propheten verlangt es
Die Propheten verkündigten ihren Zuhörern fortwährend, dass sie durch ihre anhaltende Bosheit den Zorn Gottes aufhäufen (Jer. 4,4). Im Alten Testament werden mehr als 20 verschiedene Worte benutzt, um den Zorn Gottes zu beschreiben, und diese Worte werden in ihren verschiedenen Formen insgesamt 580 Mal verwendet. Immer wieder gebrauchten die Propheten ausdrucksstarke Bilder, um Gottes Zorn zu beschreiben, welcher über die Gottlosigkeit entfesselt wird. Der letzte der Propheten, Johannes der Täufer, sprach von »dem zukünftigen Zorn« (Mt. 3,7). Von Mose bis zu Johannes, dem Wegbereiter Christi, wurden Unbußfertige kontinuierlich vor dem bevorstehenden göttlichen Zorn gewarnt.
3. Die Verkündigung Christi verlangt es
Ironischerweise hatte Jesus mehr über den göttlichen Zorn zu sagen als jeder andere in der Bibel. Unser Herr sprach mehr über Gottes Zorn, als Er über Gottes Liebe sprach. Jesus warnte uns vor dem »höllischen Feuer« (Mt. 5,22) und dem ewigen »Verderben« (Mt. 7,13) als einem Ort, wo das »Heulen und Zähneknirschen« sein wird (Mt. 8,12). Schlicht gesagt: Jesus war ein Prediger des Höllenfeuers und der Verdammnis. Männer auf den Kanzeln täten gut daran, dem Vorbild Christi in ihrer Predigt zu folgen.
4. Die Herrlichkeit des Kreuzes verlangt es
Christus erlitt den Zorn Gottes für jeden, der an Ihn glaubt und Ihn anruft. Wenn es keinen göttlichen Zorn gäbe, dann wäre das Kreuz nicht nötig gewesen und noch viel weniger die Errettung von verlorenen Seelen. Wovor müssten Sünder denn gerettet werden? Erst wenn wir die Realität des Zornes Gottes anerkennen, welcher sich gegen die richtet, an denen Gerechtigkeit vollzogen werden muss, erkennen wir, wieso das Kreuz so eine herrliche Botschaft ist. Zu viele Prediger prahlen heute damit, dass sie das Kreuz im Zentrum ihres Dienstes haben; doch sie predigen selten – wenn überhaupt – über den heiligen Zorn Gottes. Das ist eine Missachtung des Kreuzes selbst.
5. Die Lehre der Apostel verlangt es
Christus hat diejenigen, die Er Selbst direkt aussandte, dazu beauftragt, alles zu verkünden, was Er befohlen hatte (Mt. 28,20). Das beinhaltet auch das Verkündigen von Gottes gerechtem Zorn gegenüber Sündern. Der Apostel Paulus warnt Ungläubige vor dem Gott, der »das Zorngericht verhängt« (Röm. 3,5), und er bezeugt, dass nur Jesus »uns errettet vor dem zukünftigen Zorn« (1. Thess. 1,10). Petrus schreibt über den »Tag des Gerichts und des Verderbens der gottlosen Menschen« (2. Pt. 3,7). Judas spricht von der »Strafe eines ewigen Feuers« (Jud. 7). Johannes beschreibt den »Zorn des Lammes« (Off. 6,16). Offensichtlich erkannten die neutestamentlichen Schriftsteller die Notwendigkeit, Gottes Zorn zu predigen.
Prediger dürfen nicht davor zurückschrecken, den gerechten Zorn Gottes den Sündern zu verkündigen, die die Hölle verdienen. Gott hat einen Tag festgelegt, »an dem Er den Erdkreis in Gerechtigkeit richten wird« (Apg. 17,31). Dieser Tag zeichnet sich schon am Horizont ab. Wie die Propheten und Apostel und sogar Christus Selbst, so müssen auch wir die Ungläubigen vor dem kommenden schrecklichen Tag warnen und sie dazu drängen, zu Christus zu fliehen, der allein mächtig ist zu retten.