Wie kann eine Gemeinde erweckt werden?

12 April, 2025

Kategorie: Erbauung

Wie kann eine Gemeinde erweckt werden?

»Wenn ich nun Gnade gefunden habe vor Deinen Augen, so lass mich doch Deine Wege wissen und Dich erkennen, damit ich Gnade finde vor Deinen Augen.«
2. Mose 33,13

In 2. Mose 33 handelt es sich um ein Ereignis im Leben von Mose und den Kindern Israels. Ich möchte mich nicht so sehr auf eine bestimmte Aussage konzentrieren, sondern auf das, was Mose bei dieser Gelegenheit getan hat.

Gott hatte Mose auf den Berg gerufen, um ihm Sein Gesetz, die Gebote, zu geben. Mose war vierzig Tage dort oben in der direkten Gegenwart Gottes gewesen. Die Kinder Israels, die unten in der Ebene unter der Obhut Aarons zurückgeblieben waren, wurden nach einiger Zeit unruhig und sagten: »Wo ist dieser Mose wohl geblieben? Wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. Wir müssen jetzt zusehen, wie es ohne ihn weitergehen kann.« So baten sie Aaron eindringlich, ihnen einen Götzen zu machen, einen Gott, den sie sehen konnten. Auf Aarons Vorschlag hin gaben sie ihm alles Gold, das sie besaßen; dann wurde alles geschmolzen und zu einem goldenen Kalb geformt. Und das Volk begann, dieses goldene Kalb anzubeten. Aber damit waren sie noch nicht völlig zufriedengestellt. Sie begannen auch zu trinken und zu tanzen und sich der Sünde und offenen Unmoral hinzugeben.

Im weiteren Verlauf der Geschichte bekommen wir ein eindrucksvolles Bild davon, wie Mose vom Berg herabstieg und das ganze Treiben hörte, und wie verwundert und erschrocken er war und kaum wusste, wie er sein Entsetzen kundtun sollte. Aber er nahm sich diese Entgleisung sehr zu Herzen, wandte sich an das Volk und sagte: »Ihr habt eine große Sünde begangen! Und nun will ich zu dem HERRN hinaufsteigen; vielleicht kann ich Sühnung erwirken für eure Sünde« (2.Mo. 32,30). Dann lesen wir, dass Mose zum Herrn zurückkehrte und sprach:

»Ach! Das Volk hat eine große Sünde begangen, dass sie sich goldene Götter gemacht haben! Und nun vergib ihnen doch ihre Sünde; wenn aber nicht, so tilge mich aus Deinem Buch, das Du geschrieben hast! Der HERR sprach zu Mose: Ich will den aus Meinem Buch tilgen, der gegen Mich sündigt! So geh nun hin und führe das Volk an den Ort, von dem Ich zu dir geredet habe. Siehe, Mein Engel soll vor dir hergehen. Aber am Tag Meiner Heimsuchung will ich ihre Sünde an ihnen heimsuchen! Und der HERR schlug das Volk, weil sie sich das Kalb gemacht hatten, das Aaron angefertigt hatte« (V. 31-35).

Ich habe den Eindruck, dass sich das Volk Israel in Kapitel 32 in einem schrecklichen Zustand des Niedergangs befindet. Es ist ein Volk, das sich gegen Gott aufgelehnt hat und seinen eigenen Weg gegangen ist. Kapitel 33 berichtet uns dann, wie Mose auf diese Situation reagiert hat und was er getan hat. 

Ich glaube, wir finden hier eine sehr aktuelle Botschaft für uns: Hier zeigt sich uns ein sehr genaues Bild dessen und eine Parallele zu dem, was heute in der Christenheit geschieht. Mit anderen Worten: Es scheint mir, dass uns hier eine Beschreibung dessen gegeben wird, was wir den Weg zur Erweckung nennen können. Wenn ich von Erweckung spreche, meine ich nicht eine organisierte evangelistische Aktion. Man kann Erweckung nicht durch Aktionismus hervorrufen. Eine Erweckung ist eine Heimsuchung durch den Geist Gottes, eine mächtige Bewegung innerhalb der Gemeinde. Erweckung betrifft vor allem und zuerst die Gemeinde selbst, nicht Außenstehende. Das ist die wahre Definition von Erweckung. Ich möchte unsere Aufmerksamkeit darauf lenken, dass wir in dieser Geschichte sehr deutliche Schritte zur Erweckung vorfinden, und ich möchte uns diese Schritte, so wie sie hier beschrieben sind, vor Augen führen.

Das Problem des Volkes wird zum persönlichen Problem

Der erste Schritt beginnt in 2. Mose 32,30 und zieht sich bis zum Ende von Vers 6 in Kapitel 33. Worin besteht er? Es geht dabei darum, dass diejenigen, die geistlich lebendig sind, das Problem des Volkes erkennen und einen inneren Drang verspüren, etwas tun zu wollen. Mose hat sich keiner Sünde schuldig gemacht. Aber er identifiziert sich mit dem Zustand des Volkes und tritt in diesem erstaunlichen Gebet für es ein. »Und nun vergib ihnen doch ihre Sünde; wenn aber nicht, so tilge mich aus Deinem Buch, das Du geschrieben hast!« (2.Mo. 32,32). Die Worte von Mose erinnern uns an die Worte des Apostels Paulus bezüglich seiner armen Landsleute, der Juden, als er erleben musste, dass sie das Evangelium ablehnten: »Ich wünschte nämlich, selber von Christus verbannt zu sein für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch«, das heißt für seine jüdischen Mitbürger (Röm. 9,3).

Das hier vorliegende Prinzip ist, dass man das entstandene Problem zu seinem eigenen Problem macht. Wir sprechen nicht mehr über die anderen, die so tief gesunken sind, sondern identifizieren uns mit ihnen. Wir werden Teil ihres abgefallenen Zustandes. Wir werden zu Betroffenen. Darüber hinaus müssen wir erkennen: Wenn wir ein geistliches Verständnis haben, tragen wir in dieser traurigen Angelegenheit eine gewisse Mitverantwortung.

Die Masse des Volkes hier am Fuße des Berges ist ahnungslos. Die Israeliten wissen nicht, was sie tun. Aber Mose weiß es. Also nimmt er die Last und die Verantwortung auf sich. Und das ist etwas, was wir in allen großen Erweckungen der Kirchengeschichte immer wieder vorfinden. Es kann sich um einen einzelnen Mann handeln, der die Not als Last verspürt; der nicht nur die Zustände beklagt, sondern sich von ihnen belastet fühlt; der eine persönliche Verantwortung wahrnimmt und weiß, dass er etwas tun muss. Und so beginnt Mose hier zu handeln. Furchtlos und mutig bringt er den Menschen die Botschaft, die Gott ihm mitgeteilt hat: »Ihr seid ein halsstarriges Volk! Wenn Ich nur einen Augenblick in deiner Mitte hinaufzöge, so müsste Ich dich vertilgen« (2.Mo. 33,5). Mose spricht zu ihnen, ruft sie zur Umkehr auf und zeigt ihnen die Wahrheit über die Sünde, die sie begangen haben – das tun zu müssen, ist nie eine angenehme Sache. Es ist immer sehr schmerzhaft. Aber es zeichnet Mose aus, wie es auch immer diejenigen kennzeichnet, die Gott gebraucht, um Seine Gemeinde aus der Abtrünnigkeit herauszuführen.

Es ist die Pflicht eines jeden, der die Zeit, in der wir leben, wirklich versteht, klar und deutlich zu sprechen und zu wirken. Wenn wir beliebt sein wollen, werden wir das natürlich nicht tun. Aber wenn wir Gott dienen wollen, müssen wir die Wahrheit sagen und Sünde und Irrtum in der Gemeinde ohne Furcht anprangern. So werden wir – ähnlich wie Mose – zu einer Art Fürsprecher. 

Du siehst dich »in den Riss gestellt« zwischen die Menge der Menschen, die so unwissend zu sein scheinen, und dem lebendigen Gott, und du empfindest den Auftrag, zwischen beiden Parteien zu vermitteln. Du bringst das Versagen des Volkes Gottes vor Gott, du bringst aber auch Seine Botschaft zu ihnen, und du tust es mit dem Mut, den Mose bei dieser Gelegenheit bewiesen hat.

Absonderung für den Herrn

Absonderung ist der zweite Schritt, den Mose in 2. Mose 33,7-11 unternimmt, und dies ist vielleicht der umstrittenste Schritt. Es heißt hier von ihm: »Mose nahm das Zelt und schlug es sich außerhalb des Lagers auf, fern von dem Lager, und er nannte es ›Zelt der Zusammenkunft‹« (V. 7). 

Wir wollen uns darüber im Klaren sein, dass es sich hier nicht um die Stiftshütte handelt, die erst später nach Gottes Anweisungen gebaut wurde und in deren Vorhof das Volk seine Brand- und Schlachtopfer darzubringen hatte. Das hier erwähnte Zelt ist nur eine vorläufige Stiftshütte, und das Interessante daran ist, dass dieses Zelt, diese Stiftshütte, bis zu diesem Zeitpunkt bei der Reise der Kinder Israels mitten im Lager stand. Aber angesichts der tragischen Ereignisse trifft Mose eine radikale Entscheidung. Er nimmt das Zelt und stellt es in einiger Entfernung, außerhalb des Lagers, wieder auf. 

Warum tut er das? Nun, er tut es, damit das Volk dort draußen Ruhe und Frieden finden kann, um Gott anbeten zu können und dabei wirklich zur Besinnung zu kommen. Er tut dies nicht aus dem Grund, um sich selbst und denen, die mit seiner Haltung übereinstimmen, ein besonderes geistliches Wohlergehen zu ermöglichen. Er sucht nicht die Art von Absonderung, deren sich später die Pharisäer in ihrer Selbstgerechtigkeit schuldig gemacht haben. Seine Motivation ist eine Sehnsucht nach Gott, nach Ruhe, nach Frieden inmitten des Lärms, der Hektik und des gottlosen Treibens im Lager, inmitten des ganzen Volkes. Er sucht einen Ort, an den man sich zurückziehen kann, damit dort das Volk Gott mit größerer Hingabe und Reinheit anbeten und entdecken kann, was Er von ihm will. Das ist ein sehr wichtiges Prinzip, und es ist interessant, dass dies auch in der Kirchengeschichte durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder zu sehen ist. Hier wird ein Schritt hin zu einer gereinigten und wiederbelebten Gemeinde vollzogen.

In gewissem Sinne geschah dies natürlich selbst im Neuen Testament. Wenn man die Apostelgeschichte liest, sieht man, dass dieses Merkmal immer stärker hervortritt, bis schließlich die Gemeinde völlig von der toten jüdischen Religion und dem Synagogendienst getrennt war. Aber zuerst stellt sich eine Situation dar, wie wir sie hier vorfinden – es entsteht eine Gruppe von Menschen, die gemeinsam die Wahrheit erkannten und sich absonderten. Sie verließen sozusagen das Lager, um Gott auf diese tiefgehendere Weise zu begegnen.

Aus der Kirchengeschichte lernen

Werfen wir einen kurzen Blick in die Kirchengeschichte. Schauen wir uns an, was vor der Zeit der protestantischen Reformation in verschiedenen Ländern geschah – also vor mehr als 500 Jahren. Da gab es zum Beispiel die Waldenser in Norditalien. In gewissem Sinne gehörten sie noch zur römisch-katholischen Kirche, aber sie waren erweckt worden. Sie hatten erkannt, in welchem Zustand sich die römisch-katholische Kirche befand. Sie hatten gesehen, was für ein verfälschtes Bild sie von der wahren Gemeinde und vom wahren Evangelium darstellte. Und was taten diese Gläubigen? Sie zogen sich zurück und trafen sich in den Bergen. Sie trafen sich heimlich, um miteinander das Wort Gottes zu studieren und zu beten. In Böhmen (Tschechien) und in Teilen Hollands bildeten sich ähnliche Bewegungen von Christen, die »Brüder vom gemeinsamen Leben« genannt wurden und zu deren Vorbildern der große Reformator Jan Hus gehörte.

Alle diese Gruppen taten genau das, was Mose tat: Mose bringt die Stiftshütte außerhalb des Lagers, damit nicht nur er selbst, sondern auch das Volk dorthin gehen und Gott anbeten kann. »Mose aber nahm das Zelt und schlug es sich außerhalb des Lagers auf, fern von dem Lager« (V. 7). Der Großteil des Volkes geht aber nicht mit. Es heißt: »Und es geschah, wenn Mose hinausging zu dem Zelt, dann stand das ganze Volk auf, und jedermann blieb stehen am Eingang seines Zeltes und sah Mose nach, bis er in das Zelt hineingegangen war« (V. 8). Sie sind verwirrt über das seltsame Vorgehen von Mose. Sie wissen nicht, was er tut, und wahrscheinlich sind sie ihm gegenüber sehr kritisch. 

Die Kinder Israels waren oft kritisch gegenüber Mose, weil ihnen geistliche Einsicht und Verständnis fehlten. Ein Mann wie Mose wird zwangsläufig missverstanden. Aber das macht ihm nichts aus. Sie stehen nur staunend da, aber Mose weiß, was er zu tun hat. Und andere, die es wissen, schließen sich ihm an und gehen mit ihm zum »Zelt der Begegnung«.

Dies geschah nicht nur häufig in der Zeit vor der protestantischen Reformation, sondern auch danach. Viele Gemeinden, die dann protestantisch und in einem sehr allgemeinen Sinn »reformiert« wurden, waren in ihrem geistlichen Zustand für viele Christen nicht zufriedenstellend.

In England gab es zum Beispiel die große Bewegung der Puritaner. Dabei handelte es sich um eine Gruppe von Menschen, die einfach das taten, was Mose getan hat: Sie sonderten sich ab. Sie gehörten zur Gemeinde, aber sie erkannten, dass ihre geistlichen Bedürfnisse dort nicht genug gestillt wurden. Sie wussten, dass sie zusammenkommen mussten, um Gott in rechter Weise anzubeten, sich gegenseitig zu ermutigen und einen besseren Weg des Gottesdienstes zu finden. Sie waren wirklich bestrebt, den Herrn zu suchen und Ihm wahrhaft zu dienen. 

Eine ähnliche Situation gab es in Schottland unter den sogenannten Covenanters. Diese Menschen verließen England, weil sie dort Gott nicht so anbeten durften, wie sie es aus der Schrift erkannt hatten. Sie flohen zuerst nach Holland und wollten dann in ein neues Land übersiedeln, in dem sie Gott auf biblische Weise dienen konnten. Sie trennten sich von der Staatskirche; sie zogen sich zurück. Schließlich gelangten sie nach Nordamerika und spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung des großen Landes, der USA. 

Das war alles nur eine Wiederholung dessen, was Mose getan hatte. Diese englischen Christen zogen nicht nach Amerika, um dort Geld zu verdienen. Sie kamen dorthin, um Gott in einer reinen Art und Weise anzubeten und Seinen Segen zu empfangen. Sie waren der Überzeugung, dass dies in der Staatskirche, wie sie damals in England existierte, nicht möglich war, und deshalb zogen sie weg und versammelten sich woanders. Im 18. Jahrhundert setzte sich das weiter fort. Als dann später die Gemeinde wieder in einem sündigen, zerrütteten, unglücklichen Zustand war, schenkte Gott die große Erweckung – durch den Methodismus in seinen verschiedenen Formen, unter George Whitefield; eine andere Art von Methodismus gab es unter den Brüdern Wesley. 

Alle, die geistlich erweckt und lebendig waren, erkannten, dass sie in der bisherigen Gemeinde keine geistliche Nahrung und keine Hilfe mehr finden konnten, und so schlossen sie sich in kleinen Gemeinschaften und Gemeinden zusammen. Am Anfang war es alles ganz formlos. Dann organisierten sie sich nach und nach, und es gab immer mehr solcher Gemeinden. Jeder, der geistlich erweckt wurde, schloss sich einer dieser Gruppen an. Dort verbrachten sie immer wieder Zeit zusammen, sie wurden mit dem Geist Gottes erfüllt, und sie wurden befähigt, zu predigen. Es gab eine große Erweckung. 

Beten und handeln statt nur reden

Das sind also die Prinzipien, damit es zu einer Erweckung kommt. Wir finden sie in der Heiligen Schrift, in der Urgemeinde und seither in der ganzen Kirchengeschichte: Wer die Not der Zeit erkennt, wer über den Zustand der Gemeinde trauert, der redet nicht nur darüber, sondern er tut etwas. Gläubige, denen diese Not aufs Herz gelegt wird, schließen sich zusammen. Sie wissen: Es muss etwas getan werden. Sie versammeln sich in Frieden und Stille, um gemeinsam zu beraten und zu beten, um gemeinsam die Heilige Schrift zu studieren und gemeinsam den Willen des Herrn zu suchen. Es entspricht dem, was Mose tat, als er die Stiftshütte aus dem Lager herausnahm, sie weit weg vom Lager wieder aufstellte, weil die Mehrheit des Volkes die große Not ihres Zustandes nicht versteht. Das Zelt befindet sich dann außerhalb des Lagers, aber es steht jedem offen, der dorthin gehen möchte. »Und so geschah es, dass jeder, der den HERRN suchte, zum Zelt der Zusammenkunft hinausgehen musste, das außerhalb des Lagers war« (V. 7).

Und so sehen wir Mose immer wieder hinausgehen, um dem Herrn zu begegnen. Dann lesen wir: »Und der HERR redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freund redet« (V. 11). Gott billigt eindeutig das Handeln des Mose. Er lobt Seinen Diener. Er ermutigt ihn. Auch das Volk in seiner Unwissenheit erkennt, dass etwas Besonderes geschieht. 

»Und wenn das ganze Volk die Wolkensäule am Eingang des Zeltes stehen sah, dann standen sie alle auf und verneigten sich, jeder am Eingang seines Zeltes« (V. 10). Wir dürfen nicht darauf warten, dass die Masse des Volkes die Not erkennt, bevor wir etwas unternehmen. Wir sollen auch nicht darauf warten, dass irgendjemand etwas unternimmt. Aber wenn der Herr am Wirken ist und wir sehen, dass etwas geschehen muss, dann sollten wir handeln. Das ist ein wichtiger Schritt, und Gott segnet ihn. 

Schauen wir uns noch einmal die letzte Aussage in Vers 11 an: »Und [Mose] kehrte wieder ins Lager zurück. Aber sein Diener Josua, der Sohn Nuns, der junge Mann, wich nicht aus dem Inneren des Zeltes.« Das bedeutet, dass Mose, der in jeder Hinsicht der große Führer des Volkes ist, im Lager etwas zu tun hat. Am liebsten würde er seine ganze Zeit in der Stiftshütte verbringen, aber das tut er nicht. Er kann es nicht. Er muss seine Arbeit tun. Also muss er immer wieder ins Lager zurückgehen. Aber er lässt Josua, seinen jungen Mitarbeiter, ständig in der Stiftshütte. 

Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass viele von uns, wenn wir an Moses Stelle gewesen wären, mit alledem, was er tat, mehr als zufrieden gewesen wären. Betrachten wir nur einmal seinen ersten Schritt, seine Reaktion auf die Entartung der Israeliten. Als Mose sich für das Volk einsetzt, sagt Gott schließlich, Er werde sie in das Land bringen. Er sagt: »Siehe, Mein Engel soll vor dir hergehen … Und der HERR sprach zu Mose: Geh hin, zieh von hier hinauf, du und das Volk, das du aus dem Land Ägypten heraufgeführt hast, in das Land, das Ich Abraham, Isaak und Jakob mit einem Eid versprochen habe, indem Ich sagte: Deinem Samen will Ich es geben! – Ich will aber einen Engel vor dir her senden und die Kanaaniter, Amoriter, Hetiter, Pheresiter, Hewiter und Jebusiter vertreiben –, in das Land, in dem Milch und Honig fließt« (2.Mo. 32,34; 33,1-3).

Ich fürchte, die meisten von uns wären mit dieser Antwort Gottes mehr als zufrieden gewesen. Er gibt ja die Verheißung, dass sie von einem Engel in das Land geführt werden, in dem Milch und Honig fließt. Aber Mose ist nicht zufrieden, diese Zusage ist ihm nicht gut genug. Es geht ihm nicht einfach nur um einen Erfolg. Er möchte nicht nur Wohlstand und Bequemlichkeit finden. Er braucht mehr. Was für eine Haltung! Gott bietet ihm einen Engel als Führer an, aber Mose lehnt ab. In dieser Situation sollte man meinen, dass Mose mehr als zufrieden gewesen sein müsste, als Gott ihm sozusagen von Angesicht zu Angesicht begegnete. Ich denke, die meisten von uns wären es gewesen, aber Mose war es nicht. – Es gibt eine Art göttliche Ungeduld bei denen, die wirklich geistlich erweckt sind und den wahren Zustand der Gemeinde und die einzige Lösung erkennen. Mose ist unzufrieden. 

Das inständige Gebet

In den Versen 12-17 folgt nun ein weiterer wichtiger Schritt. In gewissem Sinne beginnt erst hier das wirklich eindringliche Gebet in dieser Geschichte. Mose hat auch schon vorher gebetet, aber jetzt wird es eindringlich. Und in der ganzen Kirchengeschichte hat es noch nie eine Erweckung gegeben, die nicht durch diese Phase des eindringlichen Betens und Flehens gegangen ist. – Mose zeigt, dass er noch nicht zufrieden ist. Er will mehr. Er will noch mehr haben. Deshalb betet er und fleht Gott an. Wofür betet Mose? 

Zunächst bittet er um persönliche Gewissheit: »… lass mich doch … Dich erkennen« (V. 13). Er bittet nicht darum, etwas über Gott zu erfahren. Mose möchte eine tiefere, innigere, persönliche Erkenntnis Gottes. Und erst dann, wenn wir diese Stufe erreicht haben, fangen wir wirklich an, Gott zu erkennen. Einen allgemeinen Glauben an Gott und ein Wissen von Gott – das haben viele. Hier aber ist ein Mann, der mehr möchte. Er drängt Gott, ihn zu einer persönlichen, direkten, innigen Gotteserkenntnis zu führen. 

Zweitens betet Mose um etwas Besonderes: »Wenn Du nicht Selbst mitgehst, so führe uns nicht von hier hinauf!« (V. 15). Die Aufgabe ist groß, und Mose weiß, dass er dies nicht selbstständig schaffen kann. Er traut es sich selbst nicht zu. Dabei ist er doch der sanftmütigste aller Menschen (s. 4.Mo. 12,3). Als er die Größe des Problems und seine eigene Schwachheit erkennt, betet er zu Gott um Zusicherung Seiner Gegenwart und Gnade. Deshalb lehnt er auch die Führung durch einen Engel ab. Er will nichts weniger als die Gegenwart Gottes in Seiner lebendigen und wirklichen Macht inmitten des Volkes. Letztendlich geht es ihm um die Ehre Gottes. »Denn woran soll denn erkannt werden, dass ich Gnade gefunden habe vor Deinen Augen, ich und Dein Volk, als daran, dass Du mit uns gehst?« (V. 16). 

Es geht ihm um den Namen Gottes. Sie sind ja das Volk Gottes – das behaupten sie wenigstens –, und jeder kennt sie als solches. Aber hier sind sie nun angekommen, in diesem schlimmen Zustand. Sie haben sich gottlos, götzendienerisch, sündhaft verhalten, und die Völker werden Gott demgemäß beurteilen. Es geht Mose also um die Ehre Gottes. Und das sollte auch unsere Sorge sein. Wenn wir nur um die Christenheit oder um die Gemeinde besorgt sind, dann sind wir weit von Moses Haltung entfernt. Wir sollten um die Ehre Gottes und Seines großen und heiligen Namens besorgt sein, denn Er wird gegenwärtig in vielen Kirchen und in der ganzen Welt verspottet – aufgrund des Zustandes der Christenheit.

Nachdem Mose mit dem Thema der Ehre Gottes begonnen hat, geht es ihm auch um die Ehre des Volkes Gottes: »Denn woran soll denn erkannt werden, dass ich Gnade gefunden habe vor Deinen Augen, ich und Dein Volk, als daran, dass Du mit uns gehst, sodass ich und Dein Volk ausgezeichnet werden vor jedem Volk, das auf dem Erdboden ist?« (V. 16). Die wirklich geistlichen Menschen, die Gott durch die Jahrhunderte hindurch gebraucht hat, hatten eine große und herrliche Vorstellung von der Gemeinde Jesu. Sie wussten, dass es sich dabei nicht einfach um irgendeine menschliche Institution handelt. Nein, sondern sie ist eine geistliche Gemeinschaft, eine Gemeinschaft der Wiedergeborenen. Und es betrübt die ernsten Christen, sie so kraftlos, wirkungslos, in weltlicher Gesinnung und in völliger Verwirrung zu sehen. 

Liegt dir diese Sorge um die Ehre und den Namen der Gemeinde Jesu auf dem Herzen? Und sehnst du dich danach, sie als eine Gemeinde zu sehen, die nicht einen unklaren Ruf hervorbringt, sondern den kraftvollen Ruf des Evangeliums, indem sie angetan sind mit Kraft und Stärke und Ehre und Herrlichkeit?

Mose ist besorgt. Aber er ist nicht nur um den Namen des Herrn besorgt, sondern auch um den Zustand des Volkes Gottes, weil die Heiden um ihn herum dadurch einen schlechten Eindruck von Gott bekommen. 

»Wenn ich nun Gnade gefunden habe vor Deinen Augen, so lass mich doch Deine Wege wissen und Dich erkennen, damit ich Gnade finde vor Deinen Augen; und bedenke doch, dass dieses Volk Dein Volk ist!« (V. 13). Mose geht es darum, dass alle Völker ringsum erfahren, wer dieser Gott ist. Sie sollen gedemütigt werden und erkennen und sich selbst fragen: »Wer ist dieses Volk, und wie können auch wir ihren Gott erkennen?«

Drittens ist es die Art und Weise, wie Mose betet. Und da entdecken wir wirklich etwas Erstaunliches. Fällt dir seine Kühnheit und seine Zuversicht auf? Erkennst du seine Überzeugung? Und siehst du auch, wie strukturiert sein Gebet ist, wie markant, und vor allem wie inständig und eindringlich es ist?

Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie Mose hier mit dem allmächtigen Gott spricht? »Und Mose sprach zu dem HERRN: Siehe …« Mose fordert Gott sozusagen heraus. Und ich glaube, wir entdecken hier, dass dies Gott gefällt. Gott ist unser Vater. Wir sollen gewiss alles Gebet in Ehrfurcht und in Gottesfurcht vorbringen. Aber wir sind Seine Kinder, und es gibt bei Kindern so etwas wie eine heilige Kühnheit. Mose sagt: »Siehe, Du sprichst zu mir: Führe das Volk hinauf; aber Du lässt mich nicht wissen, wen Du mit mir senden willst; und doch hast Du gesagt: Ich kenne dich mit Namen, und du hast Gnade gefunden vor Meinen Augen. enn ich nun Gnade gefunden habe vor Deinen Augen, so lass mich doch Deine Wege wissen« (V. 12-13). 

Es ist wie bei einem Kind, das eine enge Beziehung zu seinem Vater hat. Es erinnert seinen Vater gern an sein Versprechen und benutzt dies als Argument, um seine Bitte zu erhören. So sagt es: »Du weißt doch, dass du das gesagt hast; und warum tust du es jetzt nicht?« 

Ernste Christen beten so, wie Mose es hier tut. Sie berufen sich auf die Verheißungen, die Gott ihnen gegeben hat. Sie kennen ihre Bibel, die Heilige Schrift, und sie beten ganz biblisch. Sie nehmen die Verheißungen der Schrift und halten sie Gott vor und sagen: »So hast Du es doch gesagt.« Auch begründen sie ihre Bitte und sagen: »Darum erhöre uns doch!« Kennst du diese Art des Betens?

Es ist nicht überraschend, dass die Christenheit heute so ist, wie sie ist. Wir müssen neu lernen, wie man beten soll, wie man in fürbittender Weise betet, wie man Gott anfleht, wie man – wie einige der Puritaner sagten – an den Seilen der Verheißungen zieht. Die Verheißungen sind wie ein Seil, das zum Himmel hinaufführt, und man zieht so lange an diesem Seil, bis man die Antwort auf die Verheißungen Gottes herunterzieht, bis Gott den Segen gibt. So betete Mose.

Und was geschah? Wieder offenbart Gott in Seiner Reaktion, dass Er diese Art des Betens gut heißt, und Er ermutigt Mose geradezu zu solchem Beten, denn Er sagt zu ihm: »Auch dies, was du jetzt gesagt hast, will Ich tun; denn du hast Gnade gefunden vor Meinen Augen, und Ich kenne dich mit Namen!« (V. 17). Dies ist natürlich ein großes Geheimnis. Versucht man, es theologisch zu verstehen, kann man es nicht erklären. Wie kann ein Mensch Gott gleichsam zu etwas überreden? In gewisser Weise kann er es nicht, doch in anderer Weise kann er es. Wir sollten nie vergessen, dass der allmächtige, souveräne, ewige Gott unser Vater ist. Ich glaube, Er hört es gern, wenn Seine Kinder Ihn in solcher Art anflehen und Ihm Seine Verheißungen vorhalten, und Er wird antworten: »Ja, das will Ich auch für dich tun.«

Ich glaube, ich sage nicht zu viel, wenn ich behaupte, dass du mehr als zufrieden wärst, wenn Gott zu dir sagen würde: »Auch dies, was du jetzt gesagt hast, will Ich tun« (V. 17). Wenn es nicht so wäre, hättest du schon längst aufgehört zu beten, nicht wahr? Milch und Honig hatte Er verheißen. Gute Zeiten. Eine aufblühende Gemeinde. Das ist doch schon wunderbar! Aber Mose sagt dazu: »Nein!« Er ist noch nicht zufrieden. 

Gottes Herrlichkeit sehen

Unser vierter Abschnitt aus 2. Mose 33,18-23 zeigt den Weg zu einer wahren Erweckung! Aber was heißt das? Nachdem Mose einen Vorgeschmack auf die verheißenen Dinge bekommen hat, ist er noch nicht zufrieden. Er will noch mehr sehen und erleben. Er sagt: »So lass mich doch Deine Herrlichkeit sehen!« Er will Gott und Seine Herrlichkeit wirklich mit bloßen Augen sehen. Aber hier geht er einen Schritt zu weit, und Gott muss ihm antworten, dass dies nicht möglich ist, dass niemand Gott mit seinen physischen Augen sehen und dabei am Leben bleiben kann. Saulus von Tarsus hat auf dem Weg nach Damaskus nur einen flüchtigen Blick auf den verherrlichten Christus geworfen, was ihn vorläufig blind machte. 

Aber als Mose diese seine Bitte vorbringt, weist Gott ihn nicht rigoros zurück. Er sagt quasi: »Du kannst Mein Angesicht nicht sehen, aber Ich werde dir zeigen, was Ich für dich tun werde. Ich werde dir eine Antwort geben, die dir mehr als genug sein wird. Ich werde dir einen Einblick geben, einen kleinen Einblick in Meine Herrlichkeit.« Und so vollbringt Gott dieses Wunder. Er führt Mose zu einem Felsen und weist ihn an, sich daraufzustellen, und dann sagt Er: »Wenn dann Meine Herrlichkeit vorübergeht, so stelle Ich dich in die Felsenkluft und will dich mit Meiner Hand so lange bedecken, bis Ich vorübergegangen bin. Wenn Ich dann Meine Hand zurückziehe, so darfst du hinter Mir hersehen; aber Mein Angesicht soll nicht gesehen werden!« (V. 22-23).

Es ist nur ein flüchtiger Blick auf die Herrlichkeit des ewigen Gottes. Es ist ein Blick auf das, was uns alle in der ewigen Herrlichkeit erwartet. Und wenn Gott diesen Blick gewährt, ruft Er gleichzeitig Seinen Namen aus, und Er erklärt sich als der souveräne Herr, der sagt: »Und wem Ich gnädig bin, dem bin Ich gnädig, und über wen Ich Mich erbarme, über den erbarme Ich Mich« (V. 19).

Wenn der Herr eine echte Erweckung schenkt, demütigt Er uns zuvor. Das ist immer das Wichtigste. Ich glaube, unser größtes Bedürfnis ist es, vom Herrn gedemütigt zu werden. Wir sind von unserer fleischlichen Natur her so eingebildet, so selbstbewusst, so unbekümmert und vergnügt. Wir brauchen diese Demütigung und das Staunen über Gottes Macht und Herrlichkeit, wenn wir Sein gnädiges Wirken und Eingreifen in unserer Mitte erleben wollen.

Die Christenheit befindet sich heute in einer schwierigen Lage, nicht wahr? Es mangelt uns an Gottesfurcht und Gotteserkenntnis. Aber was sollen wir tun? Sollen wir über die Christenheit klagen und uns ärgern? Sollten wir nicht vielmehr wie Mose vor Gott für das Volk eintreten? Die Situation ist oft zum Verzweifeln, und nichts anderes als das, was Mose getan hat, ist hierbei notwendig. Was nützt es, auf bessere Zeiten zu hoffen und nichts zu tun? 

Mein lieber Freund, erkennst du die Not dieser Zeit? Liegt sie dir als eine Last auf deinem Herzen? Bist du traurig über den Zustand der Gemeinde? Tust du etwas dagegen? Diejenigen, die die Not dieser Zustände erkennen und denen die Herrlichkeit und Ehre Gottes und der Gemeinde am Herzen liegt, sind heute aufgerufen, ernsthaft um Erweckung zu beten.

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Wie kann eine Gemeinde erweckt werden?

von Lucas Derksen Lesezeit: 20 min