12 Bist Du, o HERR, nicht von Urzeiten her
mein Gott, mein Heiliger?
Wir werden nicht sterben!
HERR, zum Gericht hast Du ihn eingesetzt,
und zur Züchtigung hast Du,
o Fels, ihn bestimmt.
13 Deine Augen sind so rein,
dass sie das Böse nicht ansehen können;
Du kannst dem Unheil nicht zuschauen.
Warum siehst Du denn den Frevlern schweigend zu,
während der Gottlose den verschlingt,
der gerechter ist als er?
14 Du lässt die Menschen so behandeln
wie die Fische im Meer, wie das Gewürm,
das keinen Herrscher hat.
15 Er fischt sie alle mit der Angel heraus,
fängt sie mit seinem Netz
und sammelt sie in sein Garn;
darüber freut er sich und frohlockt.
16 Darum opfert er auch seinem Netz
und bringt seinem Garn Räucherwerk dar;
denn ihnen verdankt er seine fetten Bissen
und seine kräftige Nahrung.
17 Darf er aber darum sein Netz beständig ausleeren
und ohne Erbarmen Völker hinmorden?
Der Umgang mit dem Problem
Es ist für einen Christen nicht nur wichtig, etwas von dem zu verstehen, was in der Welt vor sich geht, sondern auch die Bedeutung der Ereignisse zu verstehen. In unserer Zeit ist die Gemeinde mit ernsten Gefahren konfrontiert, und wenn sie nicht wachsam ist, könnte sie wie das alte Israel politische Bündnisse eingehen, um zu versuchen, gerade das abzuwehren, was Gott angeordnet hat. Es ist wichtig, dass die Gemeinde die Ereignisse nicht aus politischer Perspektive betrachtet, sondern lernt, sie geistlich zu interpretieren und sie im Licht der Anweisungen Gottes an sie zu verstehen.
Was für den natürlichen Menschen völlig abscheulich und sogar katastrophal ist, kann genau das sein, was Gott benutzt, um uns zu züchtigen und uns wieder in die richtige Beziehung zu Ihm zu bringen. Wir dürfen also keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Die Notwendigkeit der richtigen Methode
Die meisten Probleme und Verwirrungen im Christenleben erwachsen aus einer falschen Herangehensweise. Dabei ist der rechte Ansatz für die Lösung eines Problems viel wichtiger, als dass wir fertige Antworten auf bestimmte Probleme haben. Wir Menschen wollen meistens eine klare Antwort auf eine spezielle Frage; aber die Heilige Schrift kommt diesem Wunsch nicht immer nach. Sie lehrt uns jedoch, auf welche Art wir zu einer Antwort kommen können.
Wir geraten leicht in Panik und ziehen falsche Schlüsse, wenn etwas Unerwartetes geschieht und wenn Gott auf eine seltsame und ungewöhnliche Weise mit uns verfährt. In Psalm 73 werden wir auf die Gefahr unbedachten Redens hingewiesen. Als der Psalmist gewisse Missstände sah, rief er aus: »Ganz umsonst habe ich mein Herz rein erhalten und meine Hände in Unschuld gewaschen« (V. 13). Hatte es denn noch irgendeinen Sinn, am Glauben festzuhalten? Doch plötzlich richtete er sich auf und sprach: »Wenn ich gesagt hätte: ›Ich will ebenso reden!‹ …« (V. 15), als er erkannte, dass er unüberlegt gesprochen hatte. Er hatte zu sprechen begonnen, ohne wirklich nachzudenken.
In jeder solchen Situation müssen wir den richtigen Weg zum Handeln finden. Das Problem kann uns persönlich betreffen, es kann uns auf nationaler Ebene betreffen, oder es kann uns im größeren Rahmen der weltgeschichtlichen Ereignisse als Bürger dieser Welt betreffen. Untersuchen wir also sorgfältig dieses vortreffliche Beispiel des rechten Ansatzes, von dem es in der Schrift so viele gibt.
Die Beschreibung der Methode
Innehalten und nachdenken
Die erste Regel lautet: Denken statt reden. »Jeder Mensch [sei] schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn«, sagt Jakobus in Kapitel 1, Vers 19. Unser Problem ist, dass wir schnell zum Reden sind, schnell zum Zorn, aber langsam zum Denken. Laut dem Propheten muss man jedoch zuallererst einmal überlegen. Bevor wir unsere Reaktionen zum Ausdruck bringen, müssen wir uns disziplinieren und nachdenken. Es mag überflüssig erscheinen, dies zu betonen, und doch wissen wir alle, dass wir gerade hier am häufigsten Fehler machen.
Rückbesinnung auf grundlegende Prinzipien
Die nächste Regel lautet: Bei unseren Überlegungen dürfen wir nicht direkt mit unserem anstehenden Problem beginnen. Wir müssen weiter ausholen. Am besten wenden wir die Strategie der indirekten Annäherung an – ein bekanntes Prinzip in der militärischen Taktik. Der eigentliche Feind im zweiten Weltkrieg beispielsweise war Deutschland; doch die Alliierten begannen, Deutschland in Nordafrika zu besiegen – eine Strategie der indirekten Annäherung. Eine solche Strategie ist mitunter auch für das geistliche Leben von entscheidender Bedeutung, besonders wenn wir es mit einem Problem wie dem unseren zu tun haben. Wir müssen mit unserem Denken weiter ausholen und uns einen indirekten Zugang verschaffen.
Zuerst müssen wir uns an die Dinge erinnern, deren wir uns absolut sicher sind, die völlig außer Zweifel stehen. Wir sollten sie aufschreiben und uns sagen: »In dieser furchtbaren und verwirrenden Lage, in der ich mich momentan befinde, habe ich wenigstens hier festen Boden unter den Füßen!« – Wenn man auf einer Moorlandschaft oder über einen Gebirgszug wandert und auf Sümpfe stößt, dann kann man sie nur überqueren, wenn man festen Grund findet, auf den man seine Füße stellen kann. Man muss an solchen Stellen, wo man zu versinken droht, nach sicherem Halt suchen. Ebenso muss man bei geistlichen Problemen auf die ewigen und unumstößlichen Prinzipien zurückgreifen. Der psychologische Effekt ist offensichtlich. Denn sobald wir uns auf die grundlegenden Prinzipien zurückbesinnen, lässt das Gefühl der Panik nach. Es ist eine großartige Sache, seine Seele mit dem zu beruhigen, was völlig außer Frage steht!
Anwendung der Prinzipien auf das Problem
Wenn wir das getan haben, folgt der nächste Schritt. Nun können wir unser spezielles Problem im Zusammenhang mit diesen festen Prinzipien betrachten, die wir vor Augen haben. Denn richtig gelöst werden kann ein Problem nur, wenn es im rechten Zusammenhang gesehen wird. Ein schwieriger Bibeltext kann am besten dadurch interpretiert werden, dass man seinen Kontext beachtet. Wie oft verstehen wir eine biblische Aussage falsch, weil wir einen Satz aus dem Zusammenhang gerissen haben. Wenn wir den schwierigen Text aber im Zusammenhang lesen, erklärt er sich oft von selbst. Genauso ist es auch mit dem speziellen Problem, das uns Sorge bereitet.
Das Problem Gott im Glauben anvertrauen
Damit sind wir beim letzten Schritt dieser Methode angelangt. Wenn wir immer noch keine klare Antwort gefunden haben, dann sollten wir das Ganze im Gebet Gott übergeben und bei Ihm belassen. So hat es auch der Prophet in Kapitel 1,13 gemacht. Wie aus den Versen 12 und 13 hervorgeht, war er offensichtlich immer noch ratlos; darum brachte er das Problem zu Gott und ließ es dort.
Wenn wir erst einmal die richtige Methode gefunden haben, können wir sie auf jedes Problem anwenden: auf Gottes rätselhaftes Handeln gegenüber einem Volk, auf Probleme in der Welt, oder auch auf persönliche Schwierigkeiten. Was auch immer das Problem ist – wir sollten innehalten und nachdenken, uns auf grundlegende biblische Prinzipien besinnen, sie in den entsprechenden Zusammenhang bringen und dann, wenn es uns immer noch Schwierigkeiten bereitet, das Problem zu Gott bringen und bei Ihm belassen.
Der Weg aus der Ratlosigkeit
Wir wollen beobachten, wie der Prophet diese Methode auf die beiden Hauptprobleme anwendet, die ihn beunruhigten: die scheinbare Schwachheit und Niederlage Gottes und die Frage, wie denn Gott Seinen Einsatz des chaldäischen Heeres mit Seinem heiligen Charakter in Einklang bringen kann.
Gott erkennen
Damals fragten die Leute:
-
- Warum ließ Gott es zu, dass das chaldäische Heer sich so verhielt, wie es wollte, und dann auch noch mit solch verheerenden Folgen?
- War Er etwa hilflos angesichts dieser feindlichen Macht?
Noch immer fragen die Leute:
-
- Warum ließ Gott es zu, dass die Bibelkritik und andere lähmende Einflüsse Einzug hielten?
- Warum duldet Er solche Dinge?
- Warum greift Er nicht ein?
- Ist es etwa so, dass Er es nicht verhindern kann?
Oder noch einmal:
-
- Warum lässt Gott Kriege und andere Krisen zu?
Gott ist ewig
Nachdem der Prophet seine Notlage geschildert hat, fragt er: »Bist Du nicht von alters her, HERR, mein Gott, mein Heiliger?« (Hab. 1,12; ELB). Man sieht schon, dass er auf einen Grundsatz zurückgreift. Für einen Augenblick vergisst er das eigentliche Problem und fragt sich, wessen er sich in Bezug auf Gott sicher ist.
Das erste ist, dass Gott »von alters her« existiert. Gerade erst hatte er gesagt (V. 11), dass die Chaldäer im Rausch des Erfolgs ihre Macht ihrem Gott zuschrieben; doch noch während er das sagte, begann er nachzudenken: »Ihr Gott – was ist ihr Gott überhaupt? Doch bloß etwas, das sie selbst gemacht haben. Ihr ›Bel‹ ist ihr eigenes Werk« (vgl. Jes. 46). Und während er so dachte, erinnerte er sich an etwas, von dem er überzeugt war: Mein Gott ist der ewige Gott, der immerwährende Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er ist nicht wie die Götter, die die Menschen anbeten; Er ist nicht wie der Gott des stolzen chaldäischen Heeres. Er ist Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit, der ewige Gott.
Wenn man von den Problemen der Geschichte bedrängt wird und sich fragt, was in der Welt geschieht, dann gibt es nichts Tröstlicheres und Beruhigenderes, als sich daran zu erinnern, dass der Gott, den wir anbeten, außerhalb des Wandels der Geschichte steht. Er existierte bereits, ehe die Weltgeschichte begann; Er ist es, der die Geschichte geschaffen hat. Sein Thron steht über der Welt und außerhalb der Zeit. Er regiert in Ewigkeit, der ewige Gott.
Gott existiert aus sich Selbst heraus
Dann fügt er noch etwas hinzu: »Bist Du nicht von alters her, HERR …?« Er gebraucht dabei den großen Namen Jahwe: »Bist Du nicht von alters her, Jahwe …?« Dieser Name sagt uns, dass Gott der aus sich Selbst existierende Eine ist, der ewige Ich-Bin. »Gott sprach zu Mose: ›Ich bin, der Ich bin!‹ Und Er sprach: So sollst du zu den Kindern Israels sagen: ›Ich bin‹, Der hat mich zu euch gesandt« (2.Mo. 3,14). Der Name »Ich bin, der Ich bin« bedeutet: Ich bin der Absolute, der aus sich Selbst heraus existierende Eine.
Wir stoßen hier auf einen zweiten maßgeblichen Grundsatz: Gott ist in keiner Weise von irgendetwas abhängig, das in der Welt geschieht, sondern Er existiert in sich Selbst. Er ist nicht nur nicht von der Welt abhängig, sondern Er hätte diese Welt auch nie erschaffen, wenn Er es nicht gewollt hätte. Die gewaltige Wahrheit über die Dreieinigkeit ist, dass in der Gottheit – Vater, Sohn und Heiliger Geist – ein ewig aus sich Selbst heraus existierendes Leben wohnt. Auch hierin liegt eine wunderbare Gewissheit: Ich bin sicher, dass Gott nicht von dieser Welt abhängig ist, sondern dass Er aus sich Selbst heraus existiert. Er ist Herr, Er ist Jahwe, der große Ich-Bin. Das Problem beginnt zu verblassen.
Gott ist heilig
Dann erinnert sich der Prophet daran, dass eine weitere absolute Größe Gottes Seine Heiligkeit ist. »Bist Du nicht von alters her, HERR, mein Gott, mein Heiliger?« Der Prophet ist sich nicht nur der ewigen Existenz Gottes sicher, nicht nur Seiner Existenz aus sich Selbst heraus und Seiner Unabhängigkeit von allem und jedem, sondern auch dessen, dass Er der Heilige ist, ganz und gar, absolut gerecht und heilig, ein »verzehrendes Feuer« (5.Mo. 4,24; Hebr. 12,29). Davon ist Habakuk überzeugt, »dass Gott Licht ist und in Ihm gar keine Finsternis ist« (1.Joh. 1,5). Wenn man solche Schriftstellen liest, muss man sich fragen: »Kann denn dieser Herr der Erde etwas tun, was ungerecht ist?« So etwas ist undenkbar!
Gott ist allmächtig
Dann folgt ein weiterer Grundsatz des Propheten. Er fährt fort: »Wir werden nicht sterben! HERR, zum Gericht hast Du ihn eingesetzt, und zur Züchtigung hast Du, o Fels, ihn bestimmt« (Hab. 1,12). Der Ausdruck »Fels« bezüglich Gott vermittelt die Vorstellung von der Stärke und Allmacht Gottes. Der Gott, der die ganze Welt aus dem Nichts geschaffen hat, der sagte: »Es werde Licht! Und es wurde Licht« (1.Mo. 1,3), besitzt absolute Macht; Er hat eine unermessliche Kraft. Er ist der Fels.
Gott ist treu
Es gibt noch einen weiteren Grundsatz, den der Prophet in Bezug auf Gott aufstellt, der in vielerlei Weise der wichtigste im Hinblick auf das Problem ist, mit dem er konfrontiert ist. »Bist Du nicht von alters her, HERR, mein Gott, mein Heiliger? Wir werden nicht sterben!« Was ist die Bedeutung dieser Worte? »Bist Du nicht … mein Gott, mein Heiliger? Wir werden nicht sterben!« Er erinnert sich daran, dass Gott der Gott des Bundes ist. Obwohl Gott unabhängig und absolut ist, ewig, mächtig, gerecht und heilig, hat Er sich dennoch herabgelassen, einen Bund mit den Menschen zu schließen.
Er schloss einen Bund mit Abraham, auf den sich der Prophet hier bezieht, und Er erneuerte diesen Bund mit Isaak und Jakob. Er erneuerte ihn auch mit David. Es war dieser Bund, der Israel dazu berechtigte, sich an Gott zu wenden und zu sagen: »mein Gott, mein Heiliger«. Der Prophet erinnert sich daran, dass Gott zugesagt hatte: »Ich will ihr Gott sein, und sie sollen Mein Volk sein« (Jer. 31,33; s. Hes. 37,23).
Für jene heiligen Männer, die Propheten, und alle, die in Israel geistliche Einsicht besaßen, war diese Tatsache bedeutender als alles andere. Sie glaubten zwar an die ewigen Eigenschaften Gottes; aber der Gedanke, dass ein solcher Gott weit weg im Himmel sein und ihre Not nicht wahrnehmen könnte, mag sie abgeschreckt haben. Doch was Ihn mit ihnen verband, war das Wissen um Seine Treue, Seine Bundestreue. Gott hatte Sein Wort gegeben, und Er würde es niemals brechen. Im Gedenken an diesen Bund kann der Prophet also sagen: »mein Gott, mein Heiliger«, und darum fügt er hinzu: »Wir werden nicht sterben!« Was auch immer das chaldäische Heer unternehmen würde – es könnte Israel niemals ausrotten, denn Gott hatte dem gläubigen Volk Israel feste Zusagen gegeben, die Er niemals brechen konnte.
Nachdem der Prophet so seine Grundsätze dargelegt hat, geht er nun dazu über, sein spezielles Problem in den Kontext dieser absoluten und ewigen Prinzipien einzuordnen. Und dies ist es, was er sagt: »HERR, zum Gericht hast Du ihn eingesetzt, und zur Züchtigung hast Du, o Fels, ihn bestimmt« (Hab. 1,12). Er gelangt zu seiner Antwort auf die Frage nach den Chaldäern, indem er wie folgt argumentiert: Gott muss sie zum Nutzen Israels erhöhen, dessen bin ich mir absolut sicher. Es ist nicht so, dass die Chaldäer das Ruder an sich gerissen hätten; es ist nicht so, dass Gott nicht in der Lage wäre, sie im Zaum zu halten. In Anbetracht meiner Grundsätze ist das unmöglich. Gott gebraucht sie vielmehr für Seine eigenen Zwecke (s. Vers 12b: »Zum Gericht hast Du ihn eingesetzt, und zur Züchtigung hast Du, o Fels, ihn bestimmt«), und Er führt diese Zwecke auch aus! Ich verstehe es zwar nicht ganz, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass wir nicht ausgerottet werden. Dies wird nicht das Ende der Geschichte Israels sein, obwohl nach der Beschreibung anscheinend nur sehr wenige von uns übrigbleiben werden und wir in die Gefangenschaft geführt werden. Aber ein Überrest wird bleiben, denn der Allmächtige ist immer noch Gott, und Er gebraucht die Chaldäer, um etwas zu tun, was dem Zweck des Bundes entspricht. Gott gibt sich nicht geschlagen. Er wird nicht besiegt.
Gott tut dies, weil Er so ist, wie Er ist, und Er tut es, um Sein eigenes großes Ziel zu erreichen.
Gottes Handeln verstehen
Doch nun zum zweiten Problem des Propheten: Wenn Gott allmächtig ist und die Ereignisse lenkt, bleibt die Frage, wie diese Geschehnisse sich mit Seinem heiligen Charakter vereinbaren lassen.
Wenn wir die Macht Gottes anerkennen und sehen, dass die Chaldäer nur Werkzeuge in Seinen Händen sind und dass ihr Erfolg nicht auf ihren eigenen Gott zurückzuführen ist, müssen wir immer noch fragen, wie ein heiliger Gott solche Dinge zulassen kann.
Habakuk wendet hier die gleiche Methode an wie zuvor.
Gott hasst Sünde und kann nichts Böses tun
Er beginnt mit der Aussage: »Dessen bin ich gewiss: ›Deine Augen sind so rein, dass sie das Böse nicht ansehen können; Du kannst dem Unheil nicht zuschauen‹ (Hab. 1,13).« Er will damit sagen: Was auch immer ich sonst noch nicht weiß, so weiß ich doch, dass Gott das Böse nicht ansehen kann, ohne es gleichzeitig zu verabscheuen. Er hasst es. Alles Böse in der Welt ist Gott wegen Seiner Reinheit zutiefst zuwider. Er hat zu reine Augen, als dass Er das Böse mit Wohlgefallen betrachten könnte. Gott und das Böse sind auf ewig gegensätzlich. Alles, was ungerecht oder grausam ist, ist weit vom Charakter Gottes entfernt. Es kann keine Rede davon sein, dass es in Gott Ungerechtigkeit gibt. Nicht nur versucht Er niemanden; »Gott kann [auch] nicht versucht werden zum Bösen« (Jak. 1,13). »Gott [ist] Licht, und in Ihm [ist] gar keine Finsternis« (1.Joh. 1,5).
Nachdem der Prophet dies bekräftigt hat, wendet er sich sofort dem verwirrenden Problem zu: »Wenn das bei Dir der Fall ist, o Gott, ›warum siehst Du denn den Frevlern schweigend zu, während der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er?‹ (Hab. 1,13).« Wie konnte Gott zulassen, dass diese Chaldäer Seinem eigenen Volk so etwas antaten? Das eigene Volk des Propheten mochte zwar schlecht sein – aber die Chaldäer waren noch schlechter! Oder, in zeitgemäßer Art, wie es die Christen ausdrücken: »Ich gebe gern zu, dass die Gemeinde Jesu seit Jahren rückfällig geworden ist – aber unsere Gesellschaft ist doch völlig gottlos. Wie kann Gott also das zulassen, was hier geschieht?« Lasst es uns persönlicher formulieren. Die Menschen protestieren oft: »Ich gebe zu, dass ich nicht ganz so bin, wie ich sein sollte; aber der und der ist noch schlimmer, und doch hat er Erfolg!«
Was ist die Antwort darauf?
Vertraue das ungelöste Problem Gott an
In diesem speziellen Abschnitt der Prophezeiung wird keine Antwort gegeben. Auf seine erste Frage nach der Macht Gottes erhielt der Prophet eine positive Antwort; aber das Problem mit der Heiligkeit Gottes ist schwieriger. Nachdem er seine absoluten Grundlagen dargelegt und dann sein Problem in diesen Zusammenhang gestellt hatte, findet er immer noch keine klare Antwort. Nun ist es erfahrungsgemäß oft so: Man wendet dieselbe Methode an, die in anderen Fällen so gut funktioniert hatte, aber man erhält nicht sofort eine Antwort. – Was kann man in einem solchen Fall tun?
Auf keinen Fall sollten wir voreilige Schlüsse ziehen und sagen: »Weil ich es nicht verstehe, frage ich mich, ob Gott überhaupt gerecht ist!« Wenn wir es immer noch nicht verstehen, nachdem wir die von Gott gegebenen Methoden angewandt haben, dann sollten wir im Gebet mit Ihm darüber sprechen. Wir machen einen großen Fehler, wenn wir zuerst nur mit uns selbst und anschließend noch mit anderen Leuten darüber reden und fragen: »Warum ist das so? Ist das nicht seltsam?« Wir sollten stattdessen das tun, was der Prophet getan hat: das Problem zu Gott bringen und es Ihm überlassen.
Das Vorbild des Sohnes Gottes
Ein Christ kann sich für eine Woche, für Monate oder für Jahre in einer solchen Lage befinden. Das ist schon oft geschehen! Aber überlassen wir dennoch unser Problem Gott!
So hat es nicht nur der Prophet gemacht; auch der Sohn Gottes hat die gleiche Haltung eingenommen, als Er in dieser Welt war. Er wurde für die Rettung der Menschen »zur Sünde gemacht« (2.Kor. 5,21). Er wusste, dass Ihn Sein Vater nicht nur aus den Händen der Juden, sondern auch aus denen der Römer hätte befreien können. Er hätte auch zwölf Legionen von Engeln befehligen und somit entkommen können. Aber wenn Er »zur Sünde gemacht« und die Sünde an Seinem Leib bestraft werden sollte, so bedeutete dies, dass Er von Seinem Vater getrennt werden musste. Der Sohn Gottes sah sich mit der größten Ratlosigkeit Seines menschlichen Lebens auf Erden konfrontiert. Das Einzige, wovor Er zurückschreckte, war die Trennung vom Vater. – Aber was tat Er in dieser Situation?
Genau das, was der Prophet tat: Er betete und sprach: »Mein Vater! Ist es möglich, so gehe dieser Kelch an Mir vorüber; doch nicht wie Ich will, sondern wie Du willst!« (Mt. 26,39). Er sagte sinngemäß: »Ich verstehe es nicht, aber wenn es Dein Weg ist, dann gehe Ich ihn.« Er brachte das Problem, das Er nicht verstand, zu Gott und überließ es Ihm.
Wir können mit Ehrfurcht sagen, dass der Herr Jesus, obwohl Er vielleicht nicht alles verstand, weil Er ja Mensch geworden war, dennoch weiterging, im Vertrauen darauf, dass Gottes Wille immer richtig ist und dass der heilige Gott niemals etwas anordnen würde, was falsch ist.
Ein Auszug aus dem Buch:
Und Gott greift doch ein
Dem Land drohte eine verheerende Invasion und damit auch eine furchtbare Hungersnot. Zudem breiteten sich Gewalt und soziale Ungerechtigkeit aus. Habakuk, der alttestamentliche Prophet, hatte allen Grund, in Verzweiflung zu versinken. Wo war Gott in diesen turbulenten Zeiten?
Wie der Prophet Habakuk damals, so fragen auch heute viele:
- Warum lässt ein heiliger Gott so viel Elend und Not zu?
- Warum bringt Er Menschen nicht zu Fall, die den Glauben verlästern?
- Warum lässt Er es zu, dass sogar in Seinem Namen so viel Unrecht getan wird?
- Warum erhört Gott meine Gebete nicht?
Anhand der Auslegung dieses Propheten-Buches öffnet Lloyd-Jones uns das Geheimnis, das größer ist als alle Probleme der Geschichte: Es ist Gottes Souveränität. Jedes Ereignis, wie katastrophal es auch sein mag, findet seinen Platz in Gottes liebevoll durchdachtem Plan für die Menschheit.
Habakuks großartiges Glaubensbekenntnis inmitten enormer persönlicher Erschütterungen und emotionaler Belastungen kann auch das unsere werden:
»Ich aber will mich freuen in dem HERRN …! GOTT, der Herr, ist meine Kraft.«