Da stand er und konnte nicht anders!

14 Juli, 2021

Kategorie: Kurzbiografien

Thema: Reformation

Da stand er und konnte nicht anders!


Luthers Auftreten auf dem Reichstag in Worms am 18. April 1521 erscheint uns als mutiger Schritt im Angesicht der damaligen Autoritäten. Doch Luther hatte in der Nacht zuvor in Furcht und Zittern zu seinem Gott gebetet und war zur Gewissheit gelangt, dass er sich gegen Gott und Sein Wort stellen würde, wenn er sich dem Papst und dem Kaiser beugen sollte. Das markiert weniger die moderne Gewissensfreiheit, die sich an nichts gebunden behaupten will, als vielmehr die feste innere Bindung an Gott und an Sein Wort, was dem Gewissen Richtung und Halt gibt. Über diese Bindung hat Martin Luther Rechenschaft abgelegt und sie offen bezeugt.

Am 18. April 1521 stand Martin Luther das zweite Mal vor Kaiser Karl V. auf dem Reichstag in Worms. Die anwesenden Fürsten und anderen Autoritäten des Reichstags waren Ohrenzeugen seiner Antworten auf die beiden Fragen, die ihm am Tag zuvor gestellt worden waren. Erstens fragte man, ob er der Autor der 25 Schriften sei, die dort gesammelt waren; und zweitens wollte man wissen, ob er bereit sei, die falsche Lehre darin zu widerrufen. Luther erkannte die Autorenschaft an und versuchte, eine Diskussion darüber zu beginnen, was in diesen Schriften denn falsche Lehre sei. Aber das gelang nicht; er wurde daran erinnert, dass er der Theologe sei und selbst genau wisse, was die Irrlehre sei, die er gelehrt habe.

Luther lieferte dann eine der wichtigsten Reden in der Geschichte der Kirche. Wir kennen nicht den ganzen Text der Rede, haben aber von verschiedenen Beobachtern einige Berichte, so dass ein relativ genauer Überblick dessen vorhanden ist, was er gesagt hat. Es hat eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet über das am meisten wiederholte und weithin bekannte Zitat keine Sicherheit besteht:

»Hier stehe ich, ich kann nicht anders.«

Weil nicht alle Berichte diese Erklärung enthalten, zweifeln viele Historiker daran, ob Luther das wirklich gesagt habe. Wir wissen allerdings genau, dass er mit bemerkenswertem Mut und Entschlossenheit dort vor den Mächtigen der Welt und der Kirche stand.

Luther war wirklich mutig, überhaupt nach Worms zu kommen. Er zeigte Mut, als er dem Druck widerstand, einfach Frieden zu machen, indem er seine eigene Lehre widerrufen und sich unter das beugen würde, was die Kirche so lange gelehrt hatte. Wiederum offenbarte er seinen bemerkenswerten Mut mit den starken Worten, mit denen er seine Rede abschloss:

„Wenn ich nicht durch das Zeugnis der Heiligen Schrift oder klare Vernunftgründe überwunden werde – denn weder dem Papst noch den Konzilien allein vermag ich zu glauben, da es feststeht, dass sie wiederholt geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so halte ich mich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun, weder sicher noch heilsam ist. [Hier stehe ich, ich kann nicht anders;] Gott helfe mir. Amen.«

Mit diesen Worten bezeugte Luther, dass es eine Quelle und Autorität für die Lehre gibt, für die er nun vor Gericht stand. Er war bereits aus der Kirche exkommuniziert worden und riskierte nun, wegen seiner Lehre auch mit Leib und Leben als geächteter Gesetzloser vom Staat als vogelfrei verurteilt zu werden.

Die Kirche hatte darauf bestanden, dass sich sein Gewissen ihrer Lehre unterordnen solle. Diese Kirche hatte über Jahrhunderte ein autoritäres System aufgebaut, das angeblich an Christi Statt sprechen könne. Der Papst sollte als Nachfolger von Petrus und Stellvertreter Christi auf der Erde die Autorität besitzen, alles Mögliche zu lehren und die Gewissen der Christen daran zu binden. Auch die ökumenischen Konzile sollten die Wahrheit mit der Autorität Christi Selbst aussprechen. Diese Autorität von Papst und Konzilien waren in der westlichen Kirche schon über Jahrhunderte akzeptiert worden. Wie konnte es nun ein einfacher Mann wagen, sich gegen diese Autoritäten zu stellen?

Luther hatte sich mit diesen Fragen bereits am ersten Tag vor dem Reichstag auseinandersetzen müssen und betete in der Nacht darauf, zwischen dem ersten und zweiten Tag in Worms, ernsthaft über diese Sache. Nun stellte er dort vor dem Kaiser das Ergebnis vor, zu dem sein Ringen ihn geführt hatte. Zuerst hatten ihm seine Studien der Kirchengeschichte und der Theologie gezeigt, dass die verschiedenen Päpste und Konzilien sich in ihren Beschlüssen öfters widersprachen. Wie könnten sie also die Autorität Christi haben und ohne Fehler sein, wenn sie schon daran scheiterten, untereinander eins zu sein?

Luther stand nun auf dem Reichstag nicht mehr als einfacher mittelalterlicher Mann da, der fraglos die traditionelle Autorität der Kirche akzeptierte. In vielen Punkten seines Lebens und seiner Überzeugungen war Luther noch ein Mensch des Mittelalters; aber er lebte bereits in der Renaissance und profitierte von den Werken der Lehrer der Renaissance. Die hatte dazu geführt, dass viele Werke aus der Kirchengeschichte gedruckt vorlagen; und somit sah jeder, dass Theologen, Päpste und Konzilien tatsächlich voneinander abwichen. Die Renaissance schaffte ein Bewusstsein für die Bewegungen der Geschichte. Die Theologie der Kirche war nicht so statisch und unveränderlich, wie sie es behauptete. Die mittelalterliche Übereinkunft, dass die Heilige Schrift und die Tradition der Kirche immer miteinander harmonierten, bestand nicht vor der Wirklichkeit.

Aber für Luther war das Studium der Bibel noch wichtiger als das Studium der Kirchengeschichte und der Theologie. Er legte Wert darauf, dass die Kirche ihn zu einem Professor der Theologie gemacht hatte und ihn schwören ließ, er möge die Bibel treu lehren, was er immer tun wollte und tat. Sein Gewissen war somit »gefangen im Worte Gottes«, das die höchste Autorität bildete. Daraus ergab sich auch seine Folgerung, dass die Bibel immer die Wahrheit lehre und sich nicht widerspricht. Sie allein stellte die absolut verlässliche Autorität Christi in der Kirche dar. Wenn die Bibel redet, dann muss der Christ glauben und ihr folgen, was auch immer das für Konsequenzen hat.

Luther war sich bewusst, dass er Schrift und Tradition in einer Weise trennte, wie es lange Zeit in der Kirchengeschichte nicht geschehen war. Er ließ den Reichstag wissen, dass es zur Trennung in der Kirche führen würde, wenn man dem Worte Christi folgte:

»Es wird hiernach klar sein, dass ich die Nöte und Gefahren, die Unruhe und Zwietracht, die sich um meiner Lehre willen in aller Welt erhoben haben, und die man mir gestern hier mit Ernst und Nachdruck vorgehalten hat, sorgsam genug bedacht und erwogen habe. Für mich ist es ein denkbar erfreulicher Anblick, zu sehen, wie um Gottes Wort Unruhe und Zwietracht entsteht. Denn das ist der Lauf, Weg und Erfolg, den Gottes Wort zu nehmen pflegt, wie Christus spricht: ›Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert! Denn Ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater, usw.‹ Darum müssen wir bedenken, wie Gott wunderbar und schrecklich ist in Seinen Ratschlüssen, dass nicht am Ende das, was wir ins Werk setzen, um der Unruhe zu steuern, damit anfängt, dass wir Gottes Wort verdammen und so viel mehr einer neuen Sintflut ganz unerträglicher Leiden zustreben.«

Als auf die Bibel gegründeter Christ wusste Luther, dass seine Berufung nicht darin bestand, den Reichtum, Einfluss oder die formale Einheit der Kirche zu bewahren. Er fühlte sich auch nicht berufen, das »Christentum« oder die westliche Zivilisation zu schützen, sondern er war berufen, das Evangelium zu predigen.

Mit seiner Berufung auf das Gewissen und auf klare Vernunftgründe stellte sich Luther allerdings noch nicht wie der moderne Mensch vor die Autoritäten, um seine Individualität oder persönliche Freiheit zu verteidigen, alles zu glauben und zu behaupten, was er nur wollte. Er akzeptierte die Freiheit des Gewissens in der Grenze der Unterordnung unter das Wort Gottes. Wenn er sich auf evidente Gründe berief, dann wollte er diese nicht als selbstständige Autorität behaupten, sondern er meinte auch hier, dass man mit klaren Gedanken und sorgfältigem Gebrauch seines Verstandes die Bibel studieren sollte.

Für Luther war die Bibel das eigentliche Wort Gottes, die echte Offenbarung Gottes. Sie ist so wahr, wie Gott wahrhaftig ist. Sie ist so zuverlässig, wie Gott zuverlässig ist. Sie hat die Autorität, wie Gott die Autorität ist. Wir Menschen müssen unsere Gabe, nach dem Bild Gottes geschaffen zu sein, so einsetzen, dass wir dieses Wort verstehen. Und als Sünder, die auf Rettung hoffen, müssen wir das Evangelium genauso akzeptieren, wie es im Wort gelehrt wird.

Luther hat sich und seine Lehrtätigkeit kraftvoll als »gefangen im Wort Gottes« beschrieben. Er war nicht erfinderisch, selbstherrlich oder aufmüpfig. Vielmehr wurde er vom Wort Gottes angetrieben, ergriffen und festgehalten. Er kannte die Gefahr; aber er kannte auch die Freude und Freiheit, so zu lehren, wie es die Heilige Schrift lehrte und die Apostel gelehrt hatten. Das war der Weg, der sicher und solide war: bewusst vor Gott zu stehen und auf die Gnade Jesu zu hoffen. Luther nahm das Kreuz und alles, was es ihm einbrachte, auf sich, weil er von der Bibel her wusste, dass er, ob er lebte oder starb, dem Herrn gehörte.

Luthers letzte Worte auf dem Reichstag lauteten: »Gott helfe mir. Amen.« Sie wurden oft übersehen oder als Element konventioneller Frömmigkeit abgetan. Aber diese Worte sind ebenso wichtig wie die anderen, die er an jenem Tag sagte. Er befahl seine Sache Gott an, der ihm zuletzt allein helfen konnte. Er wusste nicht, ob er den Reichstag lebendig verlassen könnte oder sterben musste. Aber er lebte in der Zuversicht, dass er Gott gemäß Seinem Wort treu gedient und das Evangelium Jesu Christi recht gepredigt hatte. Er glaubte, dass der Herr ihm helfen würde, all das zu vollbringen, was Er für ihn vorbereitet hatte. Und Gott hat Seine Absicht mit ihm erreicht, so wie Luther es erwartet hatte, als er für sich als Lebensmotto Psalm 118,17 wählte: »Ich werde nicht sterben, sondern leben und die Taten des HERRN verkünden.«

Gott half ihm. Luther sollte weitere 25 Jahre predigen, lehren und schreiben. Er erlebte nicht, dass die gesamte Kirche nach dem Wort Gottes reformiert wurde, wie er es gehofft hatte. Aber er sah, wie das Wort Gottes wieder an seinen ihm zustehenden Platz in der wahren Gemeinde Jesu Christi gelangte und wie das Evangelium weithin gepredigt und geglaubt wurde.

Luther stand da in Worms, und Gott half ihm wirklich – und durch Luther hat Gott auch uns geholfen. Amen.

 


Zuerst erschienen im Tabletalk Magazine.

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Da stand er und konnte nicht anders!

von Lucas Derksen Lesezeit: 7 min