Gottes souveräne Hand in verwirrenden Zeiten

4 Dezember, 2025

Kategorie: Bücher, Erbauung

Bibelbuch: Habakuk

Gottes souveräne Hand in verwirrenden Zeiten

Es gibt viele und vielfältige Probleme, die mit dem Glaubensleben zusammenhängen. Die Heilige Schrift verheißt uns keineswegs, dass unser Leben als Christen in dieser Welt frei sein werde von Schwierigkeiten und Prüfungen. Es gibt einen Widersacher unserer Seelen, der stets am Werk ist. Sein großes Ziel besteht darin, uns ständig zu entmutigen und uns nach Möglichkeit sogar dazu zu bringen, unseren Glauben zu verleugnen. Er präsentiert uns vielfältige Versuchungen, alles, was unseren Glauben untergraben könnte.

Eine der größten Sorgen unserer Zeit bezüglich des Glaubens könnte man heute wohl als »das Problem der Geschichte« bezeichnen. Es ist die geschichtliche Situation, die so viele Menschen ratlos zu machen scheint. Das war nicht immer der Fall. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und vielleicht bis 1914 war die Hauptschwierigkeit, mit der sich die Gläubigen konfrontiert sahen, nicht »das Problem der Geschichte«, sondern »das Problem der Wissenschaft«. Damals berief sich der Angriff auf den Glauben auf die Autorität der Wissenschaftler und ihrer Entdeckungen. Die Schwierigkeit schien damals darin zu bestehen, die Lehre der Bibel mit den beobachteten Fakten in der Natur und den verschiedenen Behauptungen der Wissenschaftler in Einklang zu bringen.

Es stimmt natürlich, dass es immer noch Menschen gibt, die über die gleichen Fragen beunruhigt sind; doch sind sie zurzeit nicht mehr das Hauptproblem. Der alte Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion ist wirklich nicht mehr aktuell. Wir haben in unserer Zeit mehr als einen hervorragenden Wissenschaftler beobachtet, der zugeben musste, dass er sich dazu gedrängt sieht, an einen intelligenten Geist hinter dem Universum zu glauben.

Es ist also nicht das wissenschaftliche Problem, sondern das Rätselhafte der Geschichte, das uns heute Sorgen bereitet. Das ist das Problem der Probleme unserer Zeit. Es ergibt sich natürlich aus den Ereignissen dieser Zeit. Unsere Glaubensväter im 19. Jahrhundert haben sich nicht sonderlich um das Problem der Geschichte gekümmert, denn das Leben verlief in ruhigen Bahnen und bewegte sich, wie sie glaubten, unweigerlich auf ein wunderbares Ziel der Vollkommenheit zu. Das »Gelobte Land« sollte bald eingenommen werden. Sie brauchten nur ruhig weiterzugehen, und bald würden sie dort sein. Aber wir alle sind im 20. Jahrhundert durch den Ablauf der Ereignisse bis ins Innerste erschüttert worden, und angesichts dieser Dinge wurde der Glaube vieler Menschen hart geprüft. Sie haben zum Beispiel Schwierigkeiten, die beiden verheerenden Weltkriege zu erklären, weil ihnen solche Ereignisse mit der biblischen Lehre von der Vorsehung Gottes unvereinbar erscheinen.

Es muss jedoch sofort gesagt werden, dass dies ein Problem ist, das niemanden unglücklich oder ratlos machen sollte. Es gäbe dafür wirklich keine Entschuldigung, aufgrund der klaren Lehre der Heiligen Schrift selbst. Einerseits gab es nie eine Entschuldigung dafür, in Bezug auf den Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion ratlos zu sein. Aber es gibt noch weniger Entschuldigung dafür, sich wegen dieses Problems der Geschichte aufzuregen, denn die Schrift behandelt es auf klarste Art und Weise. – Warum also sind die Menschen darüber besorgt?

Der Hauptgrund scheint darin zu liegen, dass manche die Bibel in einem begrenzten Sinn verwenden, nämlich ausschließlich als ein Lehrbuch für die persönliche Errettung. Viele meinen anscheinend, das einzige Thema der Bibel sei die persönliche Beziehung des Menschen zu Gott. Natürlich ist dies eines der zentralen Themen, und wir danken Gott für die wunderbare Errettung, ohne die wir als Christen hoffnungslos verzweifeln müssten. Aber das ist nicht das einzige Thema der Heiligen Schrift. Wir können vielmehr sagen, dass die Schrift die Frage der persönlichen Errettung in einen größeren Zusammenhang stellt. Letztlich betrifft die Hauptbotschaft der Schrift den Zustand der gesamten Welt und ihre Bestimmung; und du und ich sind als Einzelwesen ein Teil dieses größeren Ganzen. Darum beginnt sie mit der Erschaffung der Welt und nicht mit der des Menschen. Das Problem ist, dass wir dazu tendieren, uns ausschließlich mit unseren eigenen persönlichen Problemen zu befassen, während die Bibel viel weiter zurückgeht: Sie stellt jedes Problem in den Kontext dieser Weltsicht.

Wenn wir nicht begreifen, dass die Bibel eine bestimmte Weltsicht hat, dann ist es nicht verwunderlich, dass uns die Welt in ihrem derzeitigen Zustand zur Verzweiflung bringt. Wenn wir jedoch die Bibel als Ganzes durchlesen und ihre Botschaft zur Kenntnis nehmen, anstatt nur gelegentlich einen Psalm oder die Bergpredigt oder das Johannesevangelium herauszupicken, dann werden wir entdecken, dass sie eine tiefgründige Geschichtsphilosophie und eine unverwechselbare Weltsicht beinhaltet.

Die Bibel ermöglicht es uns zu verstehen, was heute geschieht, und dass alles, was sich in der Geschichte ereignet, seinen Platz im göttlichen Plan hat. Die große und edle Lehre der Heiligen Schrift befasst sich mit der ganzen Frage der Welt und ihres Schicksals.

Im Buch des Propheten Habakuk finden wir ein perfektes Beispiel dafür. Der Prophet behandelt das Problem der Geschichte auf eine besonders interessante Weise; nicht als akademische oder theoretische Geschichtsphilosophie, sondern als die persönliche Ratlosigkeit eines Mannes – des Propheten selbst. Er schrieb sein Buch, um von seinen eigenen Erfahrungen zu berichten. Hier ist ein Mann, der angesichts dessen, was geschieht, zutiefst beunruhigt ist. Er versucht das, was er sieht, mit dem zu vereinbaren, was er glaubt.

Die gleiche Herangehensweise an die Frage findet sich auch an anderen Stellen in der Bibel, besonders in den Psalmen, und jeder einzelne der Propheten befasst sich mit diesem Problem der Geschichte.

Aber nicht nur die Schriften des Alten Testaments sind voll von dieser Frage. Der aufmerksame Leser wird entdecken, dass sie sich in gleicher Weise durch das ganze Neue Testament zieht. – Wir sollten uns der Tatsache bewusst werden, dass »das Problem der Geschichte« das große Thema der Heiligen Schrift darstellt.

Wenn wir uns dem Studium des Buches Habakuk nähern, sollten wir zunächst die Situation betrachten, mit der sich der Prophet persönlich konfrontiert sah. Daraus können wir bestimmte Grundsätze ableiten. Dadurch werden wir erkennen, dass alles, was den Propheten beunruhigte, im Grunde genommen genau das ist, was so viele Menschen unserer Zeit beunruhigt, wenn sie versuchen, das, was sie vor Augen haben, mit der Lehre der Heiligen Schrift in Verbindung zu bringen, insbesondere mit der Lehre über das Wesen und den Charakter Gottes.

Der Prophet sah Israel in einem sehr abtrünnigen Zustand. Es hatte sich von Gott abgewandt und Ihn vergessen. Es hatte sich falschen Göttern und anderen unwürdigen Bestrebungen hingegeben. Kein Wunder, dass er in großer Verzweiflung ausruft: »Wie lange, o HERR, rufe ich [schon], ohne dass Du hörst! Ich schreie zu Dir [wegen des] Unrechts, und Du hilfst nicht. Warum lässt Du mich Bosheit sehen – und er denkt dabei an seine eigene Nation und sein eigenes Volk – und schaust dem Unheil zu? Bedrückung und Gewalttat werden vor meinen Augen begangen; es entsteht Streit, und Zank erhebt sich. Darum wird das Gesetz kraftlos, und das Recht bricht nicht mehr durch; denn der Gottlose bedrängt den Gerechten von allen Seiten; darum kommt das Urteil verkehrt heraus!« (Hab. 1,2-4).

Welch ein grässliches Bild! Sünde, Sittenlosigkeit und Laster griffen um sich, während diejenigen, welche die Verantwortung trugen und mit der Regierung betraut waren, nachlässig und träge waren. Sie sorgten nicht dafür, dass das Gesetz befolgt wurde, und waren selbst ungerecht und unaufrichtig. Überall herrschte Gesetzlosigkeit, und wann auch immer jemand es wagte, das Volk zu ermahnen, wie es der Prophet tat, erhoben sich die Machthaber mit Streit und Zwietracht. Auf den schweren religiösen Abfall folgte, wie es immer der Fall ist, ein allgemeiner moralischer und politischer Niedergang. – Das waren die alarmierenden Zustände, mit denen der Prophet konfrontiert war.

Das war ein echtes Problem. Zunächst einmal konnte Habakuk nicht verstehen, warum Gott das alles zuließ. Er hatte darüber gebetet, aber Gott schien nicht zu antworten. Daher seine Ratlosigkeit: »Wie lange, o HERR, rufe ich [schon], ohne dass Du hörst! Ich schreie zu Dir [wegen des] Unrechts, und Du hilfst nicht« (Hab. 1,2). Aber unglücklicherweise war dies für den Propheten erst der Anfang seiner Probleme. Denn auf seine Klage hin, dass Gott ihn nicht gehört und seine Gebete nicht erhört habe, antwortete Gott ihm zwar, aber auf eine gänzlich unerwartete Weise: »Seht euch um unter den Heidenvölkern und schaut umher; verwundert und entsetzt euch! Denn Ich tue ein Werk in euren Tagen – ihr würdet es nicht glauben, wenn man es erzählte! Denn siehe, Ich erwecke die Chaldäer, ein bitterböses und ungestümes Volk, das die Weiten der Erde durchzieht, um Wohnsitze zu erobern, die ihm nicht gehören« (Hab. 1,5-6). Gott sagte quasi dem Propheten: »Ich habe deine Gebete die ganze Zeit gehört, und jetzt sage Ich dir, was Ich zu tun gedenke: Ich werde das Volk der Chaldäer emporheben.«

Die Chaldäer waren zu jener Zeit ein sehr unbedeutendes Volk im Vergleich zu den Assyrern, den mächtigen Zeitgenossen Israels. – Habakuk, der ohnehin schon verwirrt darüber war, dass Gott Ungerechtigkeit in Seinem eigenen Volk zuließ, erfährt nun, dass Gott beabsichtigt, ein völlig heidnisches, gottloses Volk aufzurichten, um das Land zu erobern und Sein Volk zu bestrafen. Das war dem Propheten unbegreiflich.

Die Botschaft des Propheten Habakuk ist für uns in der heutigen Zeit, in der so viele Menschen über die Probleme unserer Geschichte verwirrt sind, bitter nötig. Wir wollen darum mit zwei Erklärungen zu den Tatsachen beginnen: Gottes Wege sind aus unterschiedlichen Gründen oft rätselhaft und Gottes Wege werden von unterschiedlichen Menschengruppen oft missverstanden.

Gottes Wege sind oft rätselhaft, weil Er untätig zu sein scheint

Warum lässt Gott zu, dass bestimmte Dinge geschehen?
Warum ist die Gemeinde Christi heute so, wie sie ist?
Warum hat Gott solche Zustände erlaubt?
Warum ließ Er moderne Strömungen aufkommen, die Seine Grundwahrheiten leugnen?
Warum bringt Er diese Leute nicht zu Fall, wenn sie den Glauben verlästern?
Warum lässt Er es zu, dass sogar in Seinem Namen so viel Unrecht getan wird?

Noch einmal: Warum hat Gott die Gebete Seines treuen Volkes nicht erhört? Wir beten seit vielen Jahren um Erweckung, und unsere Gebete sind aufrichtig und eifrig gewesen. Wir haben die gegenwärtigen Zustände beklagt und ihretwegen zu Gott geschrien, aber trotzdem scheint nichts zu geschehen.

Wie der Prophet Habakuk fragen viele: »Wie lange, o HERR, rufe ich [schon], ohne dass Du hörst! Ich schreie zu Dir [wegen des] Unrechts, und Du hilfst nicht« (Hab. 1,2). Aber das ist nicht nur das Problem der Gemeinde Jesu als Ganzes; es ist auch die Frage, die so viele Menschen persönlich beschäftigt. Es gibt Menschen, die seit vielen Jahren für jemanden beten, der ihnen am Herzen liegt, doch Gott scheint nicht zu antworten. Sie denken: »Ist es nicht der Wille Gottes, dass ein Mensch errettet wird? Nun, ich habe all die Jahre für ihn gebetet, und nichts scheint zu geschehen. Warum nur? Warum schweigt Gott still?«

Wir Menschen sind diesbezüglich oft ungeduldig und fragen uns: Warum erhört Er unsere Gebete nicht? Wie können wir verstehen, dass ein heiliger Gott zulässt, dass Seine eigene Gemeinde so ist, wie sie heute ist?

Gottes Wege sind wegen Seiner unerwarteten Fügungen oft rätselhaft

Manchmal gibt Er unerwartete Antworten auf unsere Gebete. Das war es, was Habakuk mehr als alles andere erschreckte. Lange Zeit scheint Gott überhaupt nicht zu antworten. Wenn Er dann doch antwortet, ist das, was Er sagt, noch rätselhafter als die Tatsache, dass Er unsere Gebete scheinbar nicht erhört.

Habakuk war sich darüber im Klaren, dass Gott Sein Volk züchtigen und dann eine große Erweckung schicken müsse. Aber als Gott ihm entgegnete: »Ich antworte dir, indem Ich das Heer der Chaldäer aufstelle, damit es durch eure Städte zieht und sie zerstört« (siehe Hab. 1,6), da war dies das Letzte, was er sich je hätte vorstellen können. Doch genau das hat Gott ihm gesagt, und das ist es, was tatsächlich eingetreten ist.

John Newton verfasste ein Gedicht, das eine ähnliche persönliche Erfahrung beschreibt. Er wünschte, dass sich in seinem geistlichen Leben etwas besserte, und er schrie förmlich nach einer tieferen Erkenntnis Gottes. Er erwartete eine wunderbare Offenbarung von Ihm, wie Er den Himmel zerreißt und herabkommt, um Segen auf sein Leben herabregnen zu lassen. Aber stattdessen machte Newton eine Erfahrung, bei der es monatelang so aussah, als hätte Gott ihn dem Satan übergeben. Er wurde auf eine Weise versucht und geprüft, die sein Fassungsvermögen überstieg. Doch schließlich begriff er und sah, dass dies die Art und Weise war, wie Gott sein Gebet erhörte. Gott hatte es zugelassen, dass er in die Tiefe stürzte, damit er lernte, sich voll und ganz auf Gott zu verlassen. Als Newton schließlich seine Lektion gelernt hatte, holte Gott ihn wieder aus seiner Prüfung heraus.

Wir alle neigen dazu, Gott die Antwort auf unsere Gebete vorzuschreiben. Wir meinen, Gott könne nur in einer bestimmten Weise reagieren. Doch die Heilige Schrift lehrt uns, dass Gott unsere Gebete mitunter erhört, indem Er es zulässt, dass die Dinge noch viel schlimmer werden, bevor sie sich bessern. Manchmal tut Er auch das Gegenteil von dem, was wir erwarten. Er kann uns überwältigen, indem Er uns gleichsam mit einer chaldäischen Armee konfrontiert. Dennoch ist es ein grundlegendes Prinzip im Leben und auf dem Weg des Glaubens, dass wir immer auf Unerwartetes gefasst sein müssen, wenn wir es mit Gott zu tun haben.

Ich frage mich, was denn wohl unsere Väter vor vierzig Jahren gedacht hätten, wenn sie den Zustand der Gemeinde Jesu von heute hätten voraussehen können. Sie waren schon damals unglücklich genug über die Zustände und trafen sich, um gemeinsam Gott zu suchen und um Erweckung zu flehen. Wenn sie die Gemeinden der heutigen Zeit sehen könnten, würden sie ihren Augen nicht trauen. Niemals hätten sie sich vorstellen können, dass die Gemeinden in geistlicher Hinsicht so tief herabsinken könnten. Doch Gott hat dies zugelassen. Es war eine unerwartete Antwort. Wir müssen an der Hoffnung festhalten, dass Er die Dinge zunächst einmal schlimmer werden lässt, bevor es sich schlussendlich zum Guten wendet.

Gottes Wege sind wegen Seiner ungewöhnlichen Werkzeuge oft rätselhaft

Ausgerechnet die Chaldäer will Gott erheben, um Israel zu züchtigen! So etwas war undenkbar! Aber auch hier zeigt sich eine Tatsache, die sich durch die ganze Heilige Schrift zieht. Gott kann, wenn Er es wünscht, sogar die gottlosen Chaldäer benutzen! Im Verlauf der Geschichte hat Er alle möglichen merkwürdigen und unerwarteten Werkzeuge benutzt, um Seine Absichten zu verwirklichen.

Im Blick auf unsere heutige Situation ist dies ein höchst bedeutsamer Sachverhalt, denn es scheint, dass vieles von dem, was jetzt in der Welt geschieht, gemäß der Bibel in diesem Licht betrachtet werden muss. Vielleicht können wir sogar noch weiter gehen und eindeutig sagen, dass die Verfolgung, vor der sich so viele Christen fürchten, nur ein Werkzeug ist, das Gott benutzt, um Sein eigenes Volk zurechtzubringen.

Die Bedeutung all dessen liegt in der Tatsache, dass unsere Gebete falsch erdacht und falsch ausgerichtet sind, wenn wir diese Dinge nicht in der richtigen Art und Weise betrachten.

Wir müssen den wahren Zustand der Gemeinde wahrnehmen und ihre Schuld erkennen.

Wir müssen verstehen, dass Gott möglicherweise die Kräfte, die der Christenheit am feindlichsten gegenüberstehen, für Seine eigenen Zwecke einsetzt.

Die eindeutige Lehre des Propheten ist, dass Gott in der Tat sehr seltsame Werkzeuge benutzen kann – manchmal das allerletzte, mit dem wir gerechnet hätten. 

Gottes Wege werden von leichtfertigen religiösen Menschen oft missverstanden

Gottes Wege sind oft seltsam und verwirrend, und über Seine Handlungsweise wird von den verschiedensten Arten von Menschen Verwunderung empfunden.

Es ist zunächst eine sehr überraschende Angelegenheit für die eher leichtfertigen unter den religiösen Menschen. In Habakuk 1,5 bezieht sich Gott auf die Gottlosen in Israel, auf jene, die leichtfertig und nachlässig geworden waren: »Seht euch um unter den Heidenvölkern und schaut umher; verwundert und entsetzt euch! Denn Ich tue ein Werk in euren Tagen – ihr würdet es nicht glauben, wenn man es erzählte!«

Sie dachten: »Dieser Prophet da erzählt uns, dass Gott die Chaldäer benutzen werde – als ob Gott so etwas tun könnte! Es besteht keine wirkliche Gefahr; hört nicht auf ihn. Diese Propheten sehen immer alles schwarz und drohen uns mit Unheil. Allein die Vorstellung, dass Gott ein Volk wie die Chaldäer erheben würde, um Israel zu züchtigen, ist völlig widersinnig!«

Das Problem Israels war, dass es den Propheten nie glauben wollte. Tatsächlich aber handelte Gott mit Seinem Volk genau so, wie Er es angekündigt hatte.

Diese Einstellung, die wir bei den Israeliten finden, ist so alt wie die Sintflut. Gott warnte die frühere Welt durch Noah vor dem Gericht, indem Er sagte: »›Mein Geist soll nicht für immer mit dem Menschen rechten‹. Ich will seine Lebenszeit verkürzen« (1.Mo. 6,3). Aber die Menschen spotteten und hielten das für ausgeschlossen und unmöglich. Genauso war es auch mit Sodom und Gomorra: Diese unbekümmerten Menschen konnten einfach nicht glauben, dass ihre Städte zerstört werden würden. Sie meinten, Gott würde schon eingreifen, ehe das geschähe, und setzten ihre träge Lebensweise fort in der Hoffnung, Gott werde sie ohne große Umstände erretten. Zur Zeit Habakuks war die Einstellung die gleiche. Aber Gott ließ die Chaldäer aufsteigen, sodass sie Israel angriffen und eroberten. Das Volk wurde niedergeschlagen und in die Gefangenschaft verschleppt.

Die eindrücklichste Darstellung dieses Grundsatzes findet sich in Apostelgeschichte 13, wo Paulus den fünften Vers von Habakuk 1 zitiert und ihn auf seine Zeitgenossen anwendet. Er erklärt sinngemäß: »Nein, ihr werdet nicht glauben, wie auch eure Väter nicht geglaubt haben. Aber weil Israel seinen Messias nicht erkannt hat, Ihn sogar gekreuzigt hat und sich nun weigert, Seinem Evangelium zu glauben, darum wird Gott schließlich im Gericht handeln. Er wird die Römer beauftragen, dass sie euren Tempel plündern und niederreißen, und ihr selbst werdet unter die Völker vertrieben werden. Ich weiß, dass ihr das nicht glaubt, denn der Prophet Habakuk hat es bereits prophezeit, und ihr ignoriert weiterhin seine Botschaft« (siehe Apg. 13,26-41).

Das Jahr 70 n. Chr. kam unaufhaltsam. Die römischen Legionen umzingelten Jerusalem und zerstörten es, und die Juden wurden unter die Völker zerstreut, wo sie bis zum heutigen Tag geblieben sind. Es ist wahr, dass leichtfertige religiöse Menschen den Propheten niemals glauben. Sie sagen: »So etwas würde Gott nie tun!« Aber ich erinnere euch daran, dass Gott sehr wohl so handelt.

Vielleicht benutzt Gott in unserer Zeit die gottlose Regierung, um Sein eigenes Volk zu züchtigen und ihm eine Lektion zu erteilen. Wir dürfen darum nicht weiterhin selbstzufrieden und träge sein und sagen, dass es undenkbar sei, dass Gott ein solches Werkzeug benutzen könnte. Wir dürfen uns nicht täuschen lassen wie die religiösen Juden vor der Zerstörung Jerusalems, welche die Zeichen der Zeit nicht erkannten.

Gottes Wege werden auch von der Welt missverstanden

So heißt es in Habakuk 1,11:

»Dann fährt es – also das Volk der Chaldäer – daher wie ein Sturmwind, geht weiter und lädt Schuld auf sich; denn diese seine Kraft macht es zu seinem Gott.«

Die Chaldäer merkten überhaupt nicht, dass sie von Gott benutzt wurden; sie schrieben ihren Erfolg ihrem eigenen »Gott« zu. Sie glaubten, dass sie ihren Erfolg ihrer eigenen militärischen Stärke verdankten, und sie rühmten sich dieser Tatsache. Doch Gott würde ihnen schon bald zeigen, dass dem nicht so war und dass Er sie, nachdem Er sie erhöht hatte, auch wieder stürzen konnte.

Die Welt versteht Gottes Wege nicht, noch weniger als Sein eigenes Volk. Die hochmütigen Mächte, die von Gott zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte für Seine Zwecke benutzt wurden, haben stets mit ihren Leistungen geprahlt. Der Stolz der modernen Welt auf ihren wissenschaftlichen Fortschritt und auf ihre politischen Systeme ist typisch dafür. Weil die Feinde des christlichen Glaubens die Gemeinde dahinsiechen sehen und sich selbst im Vormarsch befinden, schreiben sie ihren Erfolg »ihrem eigenen Gott« zu. Sie verstehen den wahren Sinn der Geschichte nicht. Großmächte sind aufgestiegen und haben eine Zeit lang erfolgreich geherrscht, aber sie haben sich immer an ihren eigenen Erfolgen berauscht; und plötzlich sahen sie sich selbst wieder am Boden liegend. Der wahre Sinn der Geschichte erschließt sich ihnen nicht.

Die Wege Gottes waren sogar für den Propheten selbst verwirrend

Doch seine Reaktion war eine ganz andere. Seine Frage war, wie dies alles mit der Heiligkeit Gottes zu vereinbaren sei. Er schreit:

»Wie lange, o HERR, rufe ich [schon], ohne dass Du hörst! Ich schreie zu Dir [wegen des] Unrechts, und Du hilfst nicht. Warum lässt Du mich Bosheit sehen und schaust dem Unheil zu? Bedrückung und Gewalttat werden vor meinen Augen begangen; es entsteht Streit, und Zank erhebt sich« (Hab. 1,2-3).

Die Antwort auf dieses Problem der Geschichte sind die folgenden allgemeinen biblischen Grundsätze aufzustellen:

1. Die Geschichte steht unter der Kontrolle Gottes

»Denn siehe, Ich erwecke die Chaldäer, ein bitterböses und ungestümes Volk« (Hab. 1,6).

Gott herrscht nicht nur über Israel, sondern auch über Seine Feinde, die Chaldäer. Jedes Volk auf der Erde ist in der Hand Gottes, denn es gibt keine Macht in der Welt, die nicht letztlich von Ihm beherrscht würde. Es ist nicht alles so, wie es zu sein scheint. Es schien so, als hätten die Chaldäer durch ihre militärische Geschicklichkeit die Vorherrschaft erlangt. Aber es war nicht so, denn Gott hatte sie erhöht. Gott ist der Herr der Geschichte. Er sitzt im Himmel, und die Völker sind für Ihn »wie Heuschrecken« (Jes. 40,22), »wie ein Tropfen am Eimer; wie ein Stäubchen in den Waagschalen« (Jes. 40,15).

Die Bibel versichert, dass Gott über allem steht. Er hat den geschichtlichen Prozess in Gang gesetzt, Er kontrolliert ihn, und Er wird ihn auch zu Ende führen. Diese entscheidende Tatsache dürfen wir nie aus den Augen verlieren.

2. Die Geschichte folgt einem göttlichen Plan

Nichts geschieht einfach so. Die Ereignisse sind keinem Zufall unterworfen, sondern die Geschichte folgt einem festen Plan, in dem alles von Anfang an vorherbestimmt ist. Gott sieht »von Anfang an das Ende« (Jes. 46,10); Er verfolgt mit allem ein Ziel, und Er kennt die »Zeiten und Zeitpunkte« (1.Thess. 5,1). Er weiß, wann Er Israel segnen soll und wann nicht. Alles steht in Seiner Hand.

»Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott Seinen Sohn« (Gal. 4,4). Er ließ zuerst die großen Philosophen mit der Klarheit ihrer Gedanken auftreten. Dann kamen die Römer, die berühmt waren für ihr geordnetes Regierungssystem, mit ihrem Straßenbau und ihrem wunderbaren Rechtswesen, das sie auf der ganzen Welt verbreiteten. Erst danach sandte Gott Seinen Sohn. Gott hatte das alles geplant.

Die Geschichte hat einen Sinn und ein Ziel, und was aktuell geschieht, ist kein Zufall.

Alles geschieht »nach dem Ratschluss Seines Willens« (Eph. 1,11). Gott hat Seine Zeit, Seinen eigenen Weg, und Er handelt und wirkt dementsprechend.

3. Die Geschichte ist eng verknüpft mit dem Reich Gottes

Das Reich Gottes ist der Schlüssel zur Weltgeschichte. Die Geschichte der anderen Völker, die im Alten Testament erwähnt werden, ist nur insofern von Bedeutung, als sie sich auf das Geschick Israels auswirkt. Und die gegenwärtige Geschichte ist letztlich nur insofern relevant, als sie sich auf die Geschichte der Gemeinde auswirkt.

Was in der Welt wirklich zählt, ist das Reich unseres Gottes. Von Anfang an, seit dem Sündenfall, ist Gott dabei, ein neues Reich in dieser Welt aufzurichten. Es ist Sein eigenes geistliches Reich, und Er ruft Menschen aus der sündigen Welt in dieses Reich; und alles, was in der Welt geschieht, steht in Beziehung zu diesem Reich. Zwar ist es noch im Entstehungsprozess, aber es wird schlussendlich seine perfekte Vollendung erreichen. Die anderen Ereignisse sind insofern von Bedeutung, als sie sich auf dieses Ereignis auswirken. Die gegenwärtigen Probleme sind nur in dessen Licht zu verstehen. Was Gott heute in der Gemeinde und in der Welt zulässt, steht in einem Zusammenhang mit Seinem großen Ziel für Seine Gemeinde und Sein Reich.

Wir sollten also keinen Anstoß daran nehmen, wenn wir sehen, dass in der Welt überraschende Ereignisse geschehen, sondern sollten uns vielmehr fragen: »Welche Bedeutung hat das für das Reich Gottes?«

Oder wenn uns persönlich befremdliche Dinge passieren, so sollten wir nicht jammern und klagen, sondern fragen:

Was will mich Gott dadurch lehren?
Worin muss ich korrigiert werden?
Wo habe ich etwas falsch gemacht,und wozu lässt Gott das alles geschehen?

Solche Begebenheiten haben einen tieferen Sinn – wenn wir ihn nur erkennen können. Wir sollten nicht verwirrt sein und an der Liebe oder Gerechtigkeit Gottes zweifeln. Wenn Gott so unfreundlich wäre, unsere Gebete sofort zu erhören, und zwar in unserem Sinne, dann wären wir sehr arme Christen!

Glücklicherweise zögert Gott manchmal Seine Antwort hinaus, um sich mit unserer Selbstsucht oder mit anderen Dingen in unserem Leben zu befassen, die nicht da sein sollten. Er sorgt sich um uns und will uns für einen größeren Platz in Seinem Reich zurüsten.

Darum sollten wir jedes Ereignis im Licht von Gottes großartigem, ewigem und herrlichem Plan beurteilen.


Ein Auszug aus dem Buch:

Und Gott greift doch ein

Dem Land drohte eine verheerende Invasion und damit auch eine furchtbare Hungersnot. Zudem breiteten sich Gewalt und soziale Ungerechtigkeit aus. Habakuk, der alttestamentliche Prophet, hatte allen Grund, in Verzweiflung zu versinken. Wo war Gott in diesen turbulenten Zeiten?

Wie der Prophet Habakuk damals, so fragen auch heute viele:

  • Warum lässt ein heiliger Gott so viel Elend und Not zu? 
  • Warum bringt Er Menschen nicht zu Fall, die den Glauben verlästern? 
  • Warum lässt Er es zu, dass sogar in Seinem Namen so viel Unrecht getan wird? 
  • Warum erhört Gott meine Gebete nicht? 

Anhand der Auslegung dieses Propheten-Buches öffnet Lloyd-Jones uns das Geheimnis, das größer ist als alle Probleme der Geschichte: Es ist Gottes Souveränität. Jedes Ereignis, wie katastrophal es auch sein mag, findet seinen Platz in Gottes liebevoll durchdachtem Plan für die Menschheit.
Habakuks großartiges Glaubensbekenntnis inmitten enormer persönlicher Erschütterungen und emotionaler Belastungen kann auch das unsere werden:
»Ich aber will mich freuen in dem HERRN …! GOTT, der Herr, ist meine Kraft.«

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Gottes souveräne Hand in verwirrenden Zeiten

von Lucas Derksen Lesezeit: 18 min