Mich wundert, dass ihr euch so schnell abwenden lasst von
dem, der euch durch die Gnade des Christus berufen hat, zu
einem anderen Evangelium, während es doch kein anderes gibt;
nur sind etliche da, die euch verwirren und das Evangelium
von Christus verdrehen wollen (Gal. 1,6-7).
»Was ist das Evangelium?« – eine Frage, die heute Gemeinden spaltet und andere zu hingebungsvollem Dienst anspornt. Die Ursache für die unterschiedliche Reaktion auf diese Frage liegt in dem Fundament, auf dem die Gemeinde aufgebaut ist. Die Grundlage einer gesunden Gemeinde kann nur das Wort Gottes bzw. die reine biblische Lehre sein. Unter Evangelikalen gibt es seit einigen Jahren große Bewegungen, die zahlreiche Christen und Gemeinden in den Bann gezogen haben – Bewegungen, die höchst gefährlich für eine lebendige Gemeinde und für den großen Missionsauftrag sind, den die Gemeinde Christi hat.
In dem Buch Spürst du Gott schon oder liest du noch die Bibel? – Neue Trends unter Evangelikalen klärt Thorsten Brenscheidt sorgfältig über einige dieser Bewegungen auf. Er lässt darin Persönlichkeiten wie Max Lucado, Sarah Young und Joyce Meyer zu Wort kommen, die heute einen stark wachsenden Erfolg verbuchen und deren Bekanntheitsgrad bereits jeden Kontinent erreicht. Sie vermitteln ein Gottesbild, das die Menschen von heute anzieht.
»Im Zeitalter der sogenannten Postmoderne gilt: Wahr ist, was ich erleben kann. Die Erkenntnisseite des Glaubens weicht der Erfahrungsseite. Spüren ist ›in‹. Gefragt ist Schauen statt Glauben. Schauen geht einfacher und direkter, Glauben erfordert etwas: ›Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, eine Überzeugung von Tatsachen, die man nicht sieht.‹ (Hebr. 11,1)«
»Da der ›religiöse Pluralismus‹ immer deutlicher auch in evangelikale Kreise eindringt, ist Aufklärung und Warnung unbedingt nötig – vor allem aber eine Rückbesinnung auf das allgenugsame, ewig gültige und untrügliche Wort Gottes.«1
Walter Chantry zeigt in seinem Buch Evangelium »heute«2 anhand des Gesprächs zwischen Jesus und dem reichen Jüngling, was evangelistische Verkündigung beinhaltet. Hier ein Auszug:
»Die Unterschiede zwischen vielen evangelistischen Predigten von heute und der Verkündigung Jesu sind nicht geringfügig, sondern gravierend. Der Hauptfehler liegt nicht in der Betonung oder im Vorgehen, sondern im Kern der Evangeliumsbotschaft selbst. Gäbe es nur in einem der Bereiche, die in diesem Buch angesprochen wurden – die Eigenschaften Gottes, Sein heiliges Gesetz, die Buße, den Aufruf, sich der Herrschaft Christi zu unterwerfen, die biblische Lehre von der Heilsgewissheit –, einen Mangel, wäre die Lage schon ernst genug. Aber alle diese Bereiche zu ignorieren, ist ein tödlicher Fehler. In der Heiligen Schrift gibt es keine wichtigeren Wahrheiten als diese.
Vielleicht kommen dir, lieber Leser, an dieser Stelle Zweifel. Können so viele Evangelikale falsch liegen? Kann es wirklich wahr sein, dass Christen andere Menschen bei der Suche nach Erlösung trotz guter Absichten in die Irre leiten? Ist denn wirklich alles so schlimm?
Sehen wir uns doch einmal so manche evangelistische Veranstaltung genauer an – die schwungvolle Musik und die anderen Bestandteile vieler heutiger evangelistischer Happenings. Prüfen wir doch einmal, was dort verkündigt wird: Stimmt es mit dem überein, wie Jesus evangelisiert hat? Fragen wir doch einmal, was in unseren theologischen Ausbildungsstätten zu diesem Thema gelehrt wird, was die evangelikale Literatur so lehrt und wie Jugendmissionswerke ›zeitgenössische‹ Techniken rechtfertigen. Wer dies im Licht der Predigt Jesu tut, wird zustimmen müssen, dass sich weite Teile der Gemeinde – ohne es zu merken – von der Botschaft des Neuen Testaments entfernt haben. Jeder von uns ist aufgefordert, auch seine eigene Lehre und Verkündigung ›unter die Lupe zu nehmen‹.
Nicht alle folgen dem Trend, aber doch sehr viele. Nicht alle haben das Evangelium in gleichem Maße verkürzt, aber viele sind sehr weit weg von der Wahrheit. Nicht alle, die eine ›Entscheidung‹ getroffen haben, sind betrogen worden, aber eine große Zahl von Menschen. Doch was das Schlimmste ist: Nur wenige bemühen sich darum, die Evangeliumsbotschaft wieder zu entdecken. Viele gehen davon aus, dass sie in der überlieferten evangelikalen Tradition enthalten sei. Eine große Zahl von Christen scheint nicht bereit zu sein, ihre Gewohnheiten sorgsam im Licht der Schrift zu überprüfen.
Ich gehe davon aus, dass wir alle – auch die, welche die hier angesprochenen evangelistischen Fehler begehen – Jesus wirklich ernsthaft dienen wollen. Viele haben in ihrem Dienst Dinge erlebt, die über alles Bitten und Verstehen hinausgingen – und ich bezweifle nicht, dass Menschen zum Glauben gekommen sind. Gleichwohl bemerke ich sehr oft, dass die gravierenden Mängel, die ich aufzudecken versucht habe, ihr Verständnis auch anderer grundlegender Wahrheiten des Wortes Gottes nicht in Frage stellen. Nun muss aber darauf hingewiesen werden, dass Hingabe und ›Erfolg‹ nicht die einzigen Voraussetzungen sind, die ein Evangelist für seine Arbeit braucht. Er benötigt unbedingt auch die Fähigkeit, das biblische Evangelium sachgerecht – d. h. bibeltreu – vermitteln zu können.
Wenn sich Evangelikale ehrlich fragen, warum Gott mit Seiner Macht offenkundig nicht hinter ihren gewaltigen Vorhaben steht, ist es an der Zeit, den Inhalt des heute üblicherweise verkündeten Evangeliums genau unter die Lupe zu nehmen. Wir müssen unsere Methoden und evangelistischen Koalitionen hinterfragen, um die Aufmerksamkeit auf die grundlegende Frage richten zu können: Welche Lehre wird durch unsere Evangelisationen und Missionen gefördert? Keine pragmatische Überlegung darf uns unserer Verpflichtung entbinden, dieselbe Wahrheit zu lehren, die Christus Seinen Jüngern vermittelt hat.
Jetzt kommt es darauf an, der besorgniserregenden Entwicklung entgegenzutreten, die das Evangelium auf ein paar einfache Schritte beschränkt. Wahre evangelistische Verkündigung verkündigt den ganzen Ratschluss Gottes, erklärt ihn und zeigt dem Sünder, was er zu tun hat. Erinnern wir uns an das Vorgehen unseres Herrn mit dem reichen jungen Mann! Lassen wir uns davon in unserer Botschaft und in der Wahl unserer Methoden leiten! Verkaufen wir diese Wahrheit nicht um den Preis einer oberflächlichen Einheit willen! Das Evangelium unseres Herrn ist eine Perle, die es wert ist, dass man alles verkauft, um sie zu erwerben. Lösen wir uns doch aus einer verzerrten evangelikalen Tradition und kämpfen gewissenhaft für den Glauben, ›der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist‹ (Jud. 3).«
1 Wolfgang Bühne, aus der Rezension zu diesem Buch
2 3L Verlag